Die Performance am 14. Mai 2018 während des Marburger Trialogs, aktiviert das andere Auftauchen und führt somit eine Jugenderfahrung erneuernd weiter. Kunstidentitäten und Kontingenztreiber. VR-Übersprungshandlungen.
Ich bitte alle Teilnehmer, eine Taucherbrille mitzubringen!
In der Einladung (pdf) schon sind die Teilnehmer des Trialogs gebeten, sich eine Taucherbrille mitzubringen. Nicht ist verraten, wozu. Teilnehmer sein, ist, eine Taucherbrille dabei zu haben. Aber notfalls würde auch die meine genügen (verleih ich na klar), die ich selbst mitbringe. Ich rechne also damit, daß die Teilnehmer passend präpariert sind.
Ich bringe einen badeanstaltblauen Kunststoffbottich mit. Aus unserm Haushalt daheim. Dient als Wäschekorb. Er soll aber in der geplanten Performance wassergefüllt als Bassin dienen. Er wird in Arbeitshöhe aufgestellt, so daß ich mich bequem über – hinab – in dieses improvisierte Bassin würde beugen können. Es werden unterschiedliche Akionen vorgeführt, bzw. einfach vollzogen. Die Installation des blauen Bottichs eröffnet einen spezifischen Erfahrungsraum.
Einige Zeit vor der Performance bitte ich die Teilnehmer, bevor sie sich versammeln würden, im Umfeld unseres Treffens nach kleinen wertlosen, Dingen zu suchen, diese aufzuheben und mitzubringen, letzlich in den Bottich fallen zu lassen. Dort versenkt bleiben sie sodann unter Wasser deponiert.
Ich werde Papiere ausgedruckt mitgebringen (Freibadtext, zwei Varianten), ich werde ein Schachtelobjekt für Veranschaulichungen bereit halten. Nach dem die Teilnehmer sich gesetzt haben, werde ich das Schachtelobjekt vorstellen und den darinliegenden Text vorlesen (er findet sich auch in den Papieren, die sind inzwischen verteilt und werden herumgereicht). Er handelt vom Tauchen und Wiederauftauchen.
Es geht um das Tauchen mit bloßen Augen. Es geht um das Sehen unter Wasser, die Unschärfe, wegen der man auf Mutmaßungen angewiesen ist beim Deuten der unscharfen Ansichten. Währenddessen fühlt das Unter-Wasser-Sein selbst sich klar an. Aus der blauen Diesigkeit: Was hat man da? Was mag das sein im Zugriff der Hand. Es geht um die Entscheidungskräfte mit denen Imagination und Phantasie bestimmen, was je der Fall ist. Es geht um den Wert der Unschärfe.
Und es geht um das Auftauchen — wenn das Wasser von den Augen abfließt, und nun über Wasser, von Unschärfe geheilt, das Tauchgut zur Alltagstatsächlichkeit findet. Es geht um die Unmittelbarkeit dieser beiden Zustände, die Schwebe des Tauchens und die Gesetztheit des Alltags. Endlich geht es um eine identiätsbestimmende Entscheidung. Es geht …
um die Taucherbrille als Kontingenztreiber.
Und hier ist das Papier, Original PDF: Ich habe zwei Versionen unterschiedlchen Alters hineingenommen, aus Zeitgefühl, wegen der Distanzen, zu denen die der Aufführungen hinzukommen. Das PDF entspricht dem Ausdruck. Ich lese beide Texte vor.
Wiedenbrück, wo ich den Hauptteil meiner Jugend verbrachte, hatte dies schöne, moderne Bad, fensterförmiger Grundriß. Brücke, Rutsche, Sprunggrube; wir waren meinst im tieferen Teil des Nichtschwimmer-Beckens, später im flacheren Schwimmerbereich. Fast jeden Tag im Sommer.
Endlich habe ich die beiden, recht ähnlichen Texte vorgelesen, unterbrach mich natürlich mit Kommentaren, und beende diesen Talkperform-Teil, indem ich zu meinem blauen Bassin gehe.
Es gibt dort meine Taucherbrille, einen Stapel Handtücher zu späterer Verwendung, obenauf meins, in dem Bottich, im Wasser liegen allerlei kleine (leider nicht so klein und disfunktional, wie erhofft, genügen aber) Dinge, wie von den Teilnehmern vorher versenkt.
Obenauf schwimmt ein Teilchen Birkenstreu. Unten, man sieht selbst. Debris aus Publikums Hand. Was ursprünglich entdeckt wurde, war ekliger und zugleich zauberhafter und nicht von oben schon offenbar. Aber es hat nun Performance und die Tatsächlichkeit ist hiesig. Es kehrt sich eh alles um, und der Blick zurück ins Wasser wird sich alle Virtualität nehmen, die es brauchen wird.
Und man wird eine neue Version der Narciss-Erzählung kontruieren können. Das wahre Bild der Unterwasserrealität.
Ich brauche nur an den Inhalt des Textes zu erinnern, damit klar wird, was ich nun tue:
Ich tauche Kopf und Hände in den Bottich, die Augen offen, ich sehe, suche in der Unschärfe unter Wasser, nehme mir ein Ding nach dem andern und hole es aus dem Wasser. Ich habe dabei keine Probleme unter Wasser die Augen geöffnet zu halten.
Ich trockne den nassen Kopf notdürftig ab und frage das Publikum, was das jeweilige Ding vielleicht im Unschärfemodos gewesen sein würde. Es gibt Zurufe humoriger/phantasievoller Ideen.
Ich tauche wieder und mehrmals, aber räume den Boden des Bottichs nicht leer.
Dann setze ich mir meine Taucherbrille auf. Alles ist klar, über und unter Wasser. Ich lasse liegen, was ist sehe. Tauche auf.
Dann wieder ab. Diesmal lüfte ich die Brille unter Wasser. Alle Luft entweicht, Wasser dringt ein und füllt die Brille:
Ich tauche wieder auf, diesmal ist die Brille voller Wasser. Man kann aufgetaucht sein und doch unter Wasser.
Ich blicke mich um. Eine unscharfe Welt.
Es ist unbequem die Brille zu tragen. Schwer, frontlastig, undicht, der Gummizug.
Der neue Realismus heißt Unbestimmtheit.
Ich taste mich mit ausgestreckten Händen voran. Es gibt Leute.
Ich fordere alle auf, auf meine Weise zu tauchen.
Fast alle Teilnehmer tun das tatsächlich auch.
Narziss und die Spiegelung, das Bild verschattet von der Dunkelheit der Tiefe ausdrucksstark, die Farben wohltönend, sozusagen Stimmlage Alt, und die gesamte Umgebung macht mit. Er beugt sich vor Verlangen näher und näher, das Ersehnte von den Augen kaum mehr zu fassen, der Geruch übernimmt und gibt ein kühles waldgerüchernes Dunsten ihm entgegen, das Geliebte riecht eroten nach Moosen und Erde, gleich wird es zu Berührungen kommen. Wird das narzissene Gesicht in die blanke Haut der Quelle eindringen, die Maske einer nie geahnten Zärtlichkeit kosten, Lippen trinken und einsaugen, die Augen geschlossen Lider streichelnd die Vereinigung ins Erkennen wandeln – er wird die Augen wieder öffnen – Höhepunkt gegenseitiger Unmittelbarkeit? Unaussprechbar ineinander? Sein Gleichgewicht taumelnd, schreckt er zurück? Nein, er willfährt während er sinkt und fällt. Und alles ist aufeinmal ganz anders. Hinter den Augen des geliebten Bildes naß ein Tauchen, ein Sehen, ein Wundern, und die Not. Es verschlägt ihm den Atem. Er wird sterben, Ophelias Blumen farbige Flecken, könnte er singen, würde er … ach gelber, Regenbogen ums Schwarz im Weiß Weiß der Blume ewig — soweit kommt es nicht. Doch.
Ich sage es gleich, wenn nicht umgeben, von einer Gruppe von Leuten, Selbstorganisation, Kommunikation zwischen Unbekannten, Ernst macht Spiel, Organisation ohne Systemzwang etc. hätte ich keine Versuchsanordnung wie dies Freibad »Reenactment« auf ärmlicher Basis gestartet. Hier war jeder ein potentieller Unschärfe-Transmitter, und meine Intuition, den Sinn von »Taucherbrille« umzudrehen und sie zum Unterwassergefäß zu machen, hatte hier eine Verwirklichungschance. Realistisch.
Wieso hier nun der Narziss? Wegen dem Phasensprung. Man sehe die Photos. Auf welcher Seite stehen sie? Was ist ein nasses Auftauchen? Es hat seine Phantastik. Aber auch die Zwänge vonwegen aller Recht aufs eigene Bodyshaming. Ich kann nicht mehr hinterher, nachzufragen, Erlaubnisse einholen: indem sind besonders die Auftauchbilder ohne das situative Erleben möglicherweise verletzend ernüchternd. Ich nehme sie raus, bzw. verpixele. Es sind halt auch die Bilder mit gefluteter Taucherbrille, das Subjektiv mit dem Objektiv aufgenommen. Eintauchbilder aber und die meinen laß ich.
Fiel er in sich oder ist nun außer sich, so wie er im Tümpel wehrt, strampelt, morastig die Füße tief die Abgründe von denen er aufsteigen will, wütend in Schaum und Gischt sich aufs Ufer wirft und japsend liegt, bildverloren, Unscharfes rinnt aus seinen Augenwinkeln, Begehrensende. Er wälzt sich und zerdrückt die Narzissenwiese rings unmittelbarer war nie ein Jetzt. Nicht, daß es ihm klar wäre. Was ist das für ein Gefühl, wenn die ganz andere Seite mitkommt und haften bleibt? Sei sie nun inwändig oder außen.
Nach meinen Einlassungen gab es soviele Tauchgänge nach dem selben Muster, wie es Teilnehmer gab (+/- 1). Ich bin ganz aufgeregt über soviel Resonanz. Hätte es noch einen Austausch geben sollen, wie die Sicht tatsächlich empfunden worden war, durch die geflutete Brille? Da ist das »tatsächlich« vor. Würde man nicht dem Erlebnis die Unschärfeflutung wieder nehmen? Aber andererseits, der gerettete Narziss könnte sich ja doch entschließen, die Unterwasserrealität, die gegenüber der Spiegelung ganz andere Erfahrung in die gegenseitige Identifikation mit hineinzunehmen. Über Wasser ist in jedem Falle Unterwasser und dieses Überwasser. Surrealiter genial.
Die Photos sind bearbeitet, vor allem aufgehellt, da ein Belichtungsfehler etliche in Nachtaufnahmen verwandelt hatte. Es wären sogar die richtigen gewesen, Nachtmulch. Es hat aber immer noch etwas davon. Den Photograph habe ich nicht ermitteln können, also Dank unbekannterweise.