"Reenactment" Tauchen/Kindheit; Auftritt

Die Per­for­mance am 14. Mai ‎2018 wäh­rend des Mar­bur­ger Tria­logs, akti­viert das ande­re Auf­tau­chen und führt somit eine Jugend­er­fah­rung erneu­ernd wei­ter. Kunst­i­den­ti­tä­ten und Kon­tin­genz­trei­ber. VR-Über­sprungs­hand­lun­gen.

Die­ser Bei­trag läuft drauf hin­aus, daß ich eine Kon­zept­no­tiz rekon­stru­ie­re mit­hin wie­der­auf­führ­bar mache. Damals hat­te ich all das on the fly im Kopf und in Akti­on, auch als ich am 14.9. beim Herbs­tref­fen in Schloß Kan­na­wurf zum zwei­ten Mal auf­führ­te, kein Zet­tel.
Der fol­gen­de Text ent­spä­che einem Merk­zet­tel, wie ich ihn mir zu den mei­sten klei­ne­ren Per­for­man­ces mit­brin­ge. Die­ser hier soll die dama­li­ge Kon­struk­ti­on des geplan­ten Ereig­nis­ses beinhal­ten. Das Mate­ri­al dar­stel­len, das den Ablauf und mei­ne Erläu­te­run­gen präg­te. Und auch den Text beinhal­ten, den ich in Kopie dabei hat­te, und auf den ich mich ins­ge­samt bezo­gen habe. Kom­men­ta­re von heu­te aus und doku­men­ta­ri­sches Mate­ri­al wer­den ein­be­zo­gen. Dazu wer­de ich mich u.a. mit dem Orga­ni­sa­tor des Tref­fens, Klaus Kusanow­sky, ins Beneh­men set­zen und gemein­sam mit unse­ren Erin­ne­run­gen dea­len.

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Ich bit­te alle Teil­neh­mer, eine Tau­cher­bril­le mit­zu­brin­gen!

 

In der Ein­la­dung (pdf) schon sind die Teil­neh­mer des Tria­logs gebe­ten, sich eine Tau­cher­bril­le mit­zu­brin­gen. Nicht ist ver­ra­ten, wozu. Teil­neh­mer sein, ist, eine Tau­cher­bril­le dabei zu haben. Aber not­falls wür­de auch die mei­ne genü­gen (ver­leih ich na klar), die ich selbst mit­brin­ge. Ich rech­ne also damit, daß die Teil­neh­mer pas­send prä­pa­riert sind.

Ich brin­ge einen bade­an­stalt­blau­en Kunst­stoff­bot­tich mit. Aus unserm Haus­halt daheim. Dient als Wäsche­korb. Er soll aber in der geplan­ten Per­for­mance was­ser­ge­füllt als Bas­sin die­nen. Er wird in Arbeits­hö­he auf­ge­stellt, so daß ich mich bequem über – hin­ab – in die­ses impro­vi­sier­te Bas­sin wür­de beu­gen kön­nen. Es wer­den unter­schied­li­che Akio­nen vor­ge­führt, bzw. ein­fach voll­zo­gen. Die Instal­la­ti­on des blau­en Bot­tichs eröff­net einen spe­zi­fi­schen Erfah­rungs­raum.

Eini­ge Zeit vor der Per­for­mance bit­te ich die Teil­neh­mer, bevor sie sich ver­sam­meln wür­den, im Umfeld unse­res Tref­fens nach klei­nen wert­lo­sen, Din­gen zu suchen, die­se auf­zu­he­ben und mit­zu­brin­gen, letz­lich in den Bot­tich fal­len zu las­sen. Dort ver­senkt blei­ben sie sodann unter Was­ser depo­niert.

Ich wer­de Papie­re aus­ge­druckt mit­ge­brin­gen (Frei­badt­ext, zwei Vari­an­ten), ich wer­de ein Schach­tel­ob­jekt für Ver­an­schau­li­chun­gen bereit hal­ten. Nach dem die Teil­neh­mer sich gesetzt haben, wer­de ich das Schach­tel­ob­jekt vor­stel­len und den dar­in­lie­gen­den Text vor­le­sen (er fin­det sich auch in den Papie­ren, die sind inzwi­schen ver­teilt und wer­den her­um­ge­reicht). Er han­delt vom Tau­chen und Wie­der­auf­tau­chen.

Es geht um das Tau­chen mit blo­ßen Augen. Es geht um das Sehen unter Was­ser, die Unschär­fe, wegen der man auf Mut­ma­ßun­gen ange­wie­sen ist beim Deu­ten der unschar­fen Ansich­ten. Wäh­rend­des­sen fühlt das Unter-Was­ser-Sein selbst sich klar an. Aus der blau­en Die­sig­keit: Was hat man da? Was mag das sein im Zugriff der Hand. Es geht um die Ent­schei­dungs­kräf­te mit denen Ima­gi­na­ti­on und Phan­ta­sie bestim­men, was je der Fall ist. Es geht um den Wert der Unschär­fe.

Und es geht um das Auf­tau­chen — wenn das Was­ser von den Augen abfließt, und nun über Was­ser, von Unschär­fe geheilt, das Tauch­gut zur All­tags­tat­säch­lich­keit fin­det. Es geht um die Unmit­tel­bar­keit die­ser bei­den Zustän­de, die Schwe­be des Tau­chens und die Gesetzt­heit des All­tags. End­lich geht es um eine iden­ti­ät­sbe­stim­men­de Ent­schei­dung. Es geht …

um die Tau­cher­bril­le als Kon­tin­genz­trei­ber.

 

Und hier ist das Papier, Ori­gi­nal PDF: Ich habe zwei Ver­sio­nen unter­schiedl­chen Alters hin­ein­ge­nom­men, aus Zeit­ge­fühl, wegen der Distan­zen, zu denen die der Auf­füh­run­gen hin­zu­kom­men. Das PDF ent­spricht dem Aus­druck. Ich lese bei­de Tex­te vor.

Wie­den­brück, wo ich den Haupt­teil mei­ner Jugend ver­brach­te, hat­te dies schö­ne, moder­ne Bad, fen­ster­för­mi­ger Grund­riß. Brücke, Rut­sche, Sprung­gru­be; wir waren meinst im tie­fe­ren Teil des Nicht­schwim­mer-Beckens, spä­ter im fla­che­ren Schwim­mer­be­reich. Fast jeden Tag im Som­mer.

Wiedenbrück Freibad s/w Luftaufnahme; Freibad Grundriß Fensterform
Postkarte, Ansichtkarte Stadt Wiedenbrück Mosaik incl. Freibad

End­lich habe ich die bei­den, recht ähn­li­chen Tex­te vor­ge­le­sen, unter­brach mich natür­lich mit Kom­men­ta­ren, und been­de die­sen Talk­per­form-Teil, indem ich zu mei­nem blau­en Bas­sin gehe.

Es gibt dort mei­ne Tau­cher­bril­le, einen Sta­pel Hand­tü­cher zu spä­te­rer Ver­wen­dung, oben­auf meins, in dem Bot­tich, im Was­ser lie­gen aller­lei klei­ne (lei­der nicht so klein und dis­funk­tio­nal, wie erhofft, genü­gen aber) Din­ge, wie von den Teil­neh­mern vor­her ver­senkt.

Oben­auf schwimmt ein Teil­chen Bir­ken­streu. Unten, man sieht selbst. Debris aus Publi­kums Hand. Was ursprüng­lich ent­deckt wur­de, war ekli­ger und zugleich zau­ber­haf­ter und nicht von oben schon offen­bar. Aber es hat nun Per­for­mance und die Tat­säch­lich­keit ist hie­sig. Es kehrt sich eh alles um, und der Blick zurück ins Was­ser wird sich alle Vir­tua­li­tät neh­men, die es brau­chen wird.

Und man wird eine neue Ver­si­on der Nar­ciss-Erzäh­lung kon­tru­ie­ren kön­nen. Das wah­re Bild der Unter­was­ser­rea­li­tät.

Funde aus Publikums Hand
Publikumsdebris, verwackelt

Ich brau­che nur an den Inhalt des Tex­tes zu erin­nern, damit klar wird, was ich nun tue:

Ich tau­che Kopf und Hän­de in den Bot­tich, die Augen offen, ich sehe, suche in der Unschär­fe unter Was­ser, neh­me mir ein Ding nach dem andern und hole es aus dem Was­ser. Ich habe dabei kei­ne Pro­ble­me unter Was­ser die Augen geöff­net zu hal­ten.

Ich trock­ne den nas­sen Kopf not­dürf­tig ab und fra­ge das Publi­kum, was das jewei­li­ge Ding viel­leicht im Unschär­fe­mo­dos gewe­sen sein wür­de. Es gibt Zuru­fe humoriger/​phantasievoller Ideen.

Ich tau­che wie­der und mehr­mals, aber räu­me den Boden des Bot­tichs nicht leer.

Dann set­ze ich mir mei­ne Tau­cher­bril­le auf. Alles ist klar, über und unter Was­ser. Ich las­se lie­gen, was ist sehe. Tau­che auf.

Dann wie­der ab. Dies­mal lüf­te ich die Bril­le unter Was­ser. Alle Luft ent­weicht, Was­ser dringt ein und füllt die Bril­le:

Ich tau­che wie­der auf, dies­mal ist die Bril­le vol­ler Was­ser. Man kann auf­ge­taucht sein und doch unter Was­ser.

Ich blicke mich um. Eine unschar­fe Welt.

Es ist unbe­quem die Bril­le zu tra­gen. Schwer, front­la­stig, undicht, der Gum­mi­zug.

Der neue Rea­lis­mus heißt Unbe­stimmt­heit.

Ich taste mich mit aus­ge­streck­ten Hän­den vor­an. Es gibt Leu­te.
Ich for­de­re alle auf, auf mei­ne Wei­se zu tau­chen.

Fast alle Teil­neh­mer tun das tat­säch­lich auch.

Nar­ziss und die Spie­ge­lung, das Bild ver­schat­tet von der Dun­kel­heit der Tie­fe aus­drucks­stark, die Far­ben wohl­tö­nend, sozu­sa­gen Stimm­la­ge Alt, und die gesam­te Umge­bung macht mit. Er beugt sich vor Ver­lan­gen näher und näher, das Ersehn­te von den Augen kaum mehr zu fas­sen, der Geruch über­nimmt und gibt ein küh­les wald­ge­rü­cher­nes Dun­sten ihm ent­ge­gen, das Gelieb­te riecht ero­ten nach Moo­sen und Erde, gleich wird es zu Berüh­run­gen kom­men. Wird das nar­zis­se­ne Gesicht in die blan­ke Haut der Quel­le ein­drin­gen, die Mas­ke einer nie geahn­ten Zärt­lich­keit kosten, Lip­pen trin­ken und ein­sau­gen, die Augen geschlos­sen Lider strei­chelnd die Ver­ei­ni­gung ins Erken­nen wan­deln – er wird die Augen wie­der öff­nen – Höhe­punkt gegen­sei­ti­ger Unmit­tel­bar­keit? Unaus­sprech­bar inein­an­der? Sein Gleich­ge­wicht tau­melnd, schreckt er zurück? Nein, er will­fährt wäh­rend er sinkt und fällt. Und alles ist auf­ein­mal ganz anders. Hin­ter den Augen des gelieb­ten Bil­des naß ein Tau­chen, ein Sehen, ein Wun­dern, und die Not. Es ver­schlägt ihm den Atem. Er wird ster­ben, Ophe­li­as Blu­men far­bi­ge Flecken, könn­te er sin­gen, wür­de er … ach gel­ber, Regen­bo­gen ums Schwarz im Weiß Weiß der Blu­me ewig — soweit kommt es nicht. Doch.

Ich sage es gleich, wenn nicht umge­ben, von einer Grup­pe von Leu­ten, Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Unbe­kann­ten, Ernst macht Spiel, Orga­ni­sa­ti­on ohne System­zwang etc. hät­te ich kei­ne Ver­suchs­an­ord­nung wie dies Frei­bad »Ree­nact­ment« auf ärm­li­cher Basis gestar­tet. Hier war jeder ein poten­ti­el­ler Unschär­fe-Trans­mit­ter, und mei­ne Intui­ti­on, den Sinn von »Tau­cher­bril­le« umzu­dre­hen und sie zum Unter­was­ser­ge­fäß zu machen, hat­te hier eine Ver­wirk­li­chungs­chan­ce. Rea­li­stisch.

Wie­so hier nun der Nar­ziss? Wegen dem Pha­sen­sprung. Man sehe die Pho­tos. Auf wel­cher Sei­te ste­hen sie? Was ist ein nas­ses Auf­tau­chen? Es hat sei­ne Phan­ta­stik. Aber auch die Zwän­ge von­we­gen aller Recht aufs eige­ne Bodys­ha­ming. Ich kann nicht mehr hin­ter­her, nach­zu­fra­gen, Erlaub­nis­se ein­ho­len: indem sind beson­ders die Auf­tauch­bil­der ohne das situa­ti­ve Erle­ben mög­li­cher­wei­se ver­let­zend ernüch­ternd. Ich neh­me sie raus, bzw. ver­pi­x­ele. Es sind halt auch die Bil­der mit geflu­te­ter Tau­cher­bril­le, das Sub­jek­tiv mit dem Objek­tiv auf­ge­nom­men. Ein­tauch­bil­der aber und die mei­nen laß ich.

Fiel er in sich oder ist nun außer sich, so wie er im Tüm­pel wehrt, stram­pelt, mora­stig die Füße tief die Abgrün­de von denen er auf­stei­gen will, wütend in Schaum und Gischt sich aufs Ufer wirft und jap­send liegt, bild­ver­lo­ren, Unschar­fes rinnt aus sei­nen Augen­win­keln, Begeh­ren­sen­de. Er wälzt sich und zer­drückt die Nar­zis­sen­wie­se rings unmit­tel­ba­rer war nie ein Jetzt. Nicht, daß es ihm klar wäre. Was ist das für ein Gefühl, wenn die ganz ande­re Sei­te mit­kommt und haf­ten bleibt? Sei sie nun inwän­dig oder außen.

ich mit gefluteter Taucherbrille, weich gezeichnet
gespiegelt
geop erläuternd
Schatz aus dem Bottich
Taucherbrille halten
abtrocknen
tauchender Teilnehmer
gibt ins wasser
noch ein Schatz aus dem Bottich
halbblind im Unscharfen
tauchende Teilnehmer
tauchender Teilnehmer
erstes Tauchen
Taucherbrille und Bürste
halbblind im Unscharfen
tauchender Teilnehmer
tauchender Teilnehmer
auftauchend
Gefluteter Tauchgang
wo ist der Himmel
tauchender Teilnehmer
tauchender Teilnehmer
tauchender Teilnehmer
tauchender Teilnehmer

Nach mei­nen Ein­las­sun­gen gab es sovie­le Tauch­gän­ge nach dem sel­ben Muster, wie es Teil­neh­mer gab (+/- 1). Ich bin ganz auf­ge­regt über soviel Reso­nanz. Hät­te es noch einen Aus­tausch geben sol­len, wie die Sicht tat­säch­lich emp­fun­den wor­den war, durch die geflu­te­te Bril­le? Da ist das »tat­säch­lich« vor. Wür­de man nicht dem Erleb­nis die Unschär­fe­flu­tung wie­der neh­men? Aber ande­rer­seits, der geret­te­te Nar­ziss könn­te sich ja doch ent­schlie­ßen, die Unter­was­ser­rea­li­tät, die gegen­über der Spie­ge­lung ganz ande­re Erfah­rung in die gegen­sei­ti­ge Iden­ti­fi­ka­ti­on mit hin­ein­zu­neh­men. Über Was­ser ist in jedem Fal­le Unter­was­ser und die­ses Über­was­ser. Sur­rea­li­ter geni­al.

Die Pho­tos sind bear­bei­tet, vor allem auf­ge­hellt, da ein Belich­tungs­feh­ler etli­che in Nacht­auf­nah­men ver­wan­delt hat­te. Es wären sogar die rich­ti­gen gewe­sen, Nacht­mulch. Es hat aber immer noch etwas davon. Den Pho­to­graph habe ich nicht ermit­teln kön­nen, also Dank unbe­kann­ter­wei­se.