Bücherstapel
Lieblingsbücher
; GloMar; Doubleblind; Tsalal; Todfeind; Roh-Wert; Guillotine; Hamsterrad; Kritzelflamme; Inkonsequenz; Jägerherz; Traumzeit;
Unter der Begriffsansammlung im Glossar ein Stapel Bücher – mehr oder weniger geordnet, mehr oder weniger ≈kommentiert. Eigentlich, denkt man, sind Bücher aus Wörtern gemacht, tatsächlich aber machen Bücher Wörter.
Unter meinem Wörterhaufen meine Büchersäule. Nach und nach wird das ganze Ausmaß sichtbar. Tatsächlich meist Bücher. Stapel nach Autor; Haufen per StrangeLemma.
Nicht, daß man mich für belesen hält. Mir reicht pro Buch mal auch nur ein Wort, ein Gedanke, ein Konzept, um weiterzukommen. Mußt ich zwar erst mal finden – und Deckel zu. (Ah! Titel&Klappentext. Zwinkersmiley.) Endet dann als Flußschlamm auf Regalbrettern, in dem ich zuzeiten verzweifelt nach ehemals ausgemachten Schätzen suche. (Binich dummer Pirat, der die Stellen, wo der Schatz versenkt, mit Kerben in der Bordwand markierte.) Letztlich muß ich mich auf die holpernde Mischmaschine meines halb- und un-bewußten »Wissens« verlassen – immerhin öfters ein genialer Apparat – seinen Zufällen nach, mit denen er bestimmt, was mir je der Fall ist.
Hier jedenfalls gibt’s diesen Stapel von Buch/Text/sonstwas, von mir aufgegriffen, mit dem sich angeben läßt (z.B. Zitate — ach so, Zitate: nein ich folge nicht wissenschaftlichen Zitierregeln; was weiß ich, welchem Einfluß ich grad folge; ich tu mein Bestes um niemanden zu kränken, zu mißachten, aber na ja. Wer sich übersehn findet, genannt sehen will, bitte melde er sich. Ich trag’s nach.) Denn ich selbst bin ein Plagiat.
Kenneth J.Hsü (M.B.Cita, W.B.F.Ryan)
Das Mittelmeer war eine Wüste
– auf Forschungsreisen mit d. Glomar Challenger
München, Harnack, 1984
ISBN:3–88966-012–6
a – Satelitenaufnahme des Mittelmeeres (aus Wikipedia)
Klingt wie Zauberwort: „Stromatolith, Chickenwire-Anhydrit, Evaporit, Stieraugen Formation“, handelt sich aber lediglich um spezielle Formen von Ablagerungen, um solche nämlich, die in flachen warmen Uferzonen, Lagunen oder Sabkhas zu finden sind.
Stromatolithen sind Gesteinsformationen, die in flachem, hellen, hochkonzentriertem und ufernahem Meereswasser durch das Wechselspiel von geologischen und biologischen Ablagerungen entstehen. Anhydrit ist ein Gipsstein, dem das Kristallwasser durch Verdunstung bei Temperaturen über 35°C entzogen wurde. Dabei entsteht eine im Anschnitt seltsam kaninchendrahtähnliche Struktur. Beide Gesteine gehören zu den Evaporiten, den Eindunstungsgesteinen. Trocknet eine Senke voller Meerwasser aus, so lagern sich die Stoffe im Meerwasser in der Reihenfolge ihrer Löslichkeit ab, was ein typisches ringförmiges Muster erzeugt, das Stierauge. Alles nicht so sehr was Besonderes, wenn man es in Flachwasserzonen findet.
Entdeckt man dasselbe aber in der Tiefsee, am Grunde des Mittelmeeres, dann mag man zunächst doch an Zauberei glauben – und endlich zu dem Schluß kommen: Das Mittelmeer muß im Laufe seiner Geschichte trocken gefallen sein. Tatsächlich haben die Untersuchungen des Deep Sea Drilling Project’s, Expeditionen des Bohrschiffes Glomar Challenger, im Mittelmeer eine Fülle von Daten ergeben, die auf das wahrscheinlich mehrmalige Trockenfallen des Mittelmeeres hinauslaufen. Etliche andere Indizien sind schon hinzugekommen: Die Geschichte dieser Entdeckung schildert Kenneth Hsü als einer der Beteiligten. Eine Meisterleistung, Forschung plastisch, und man muß sich das Mittelmeer einmal seines Wassers entblößt vorstellen, um imaginieren zu können, was eine gewaltige Geo-Plastik so ein Meer ist.
Peter Pesic
Seeing Double
– shared identities in Physics, Philosophy and Literature
The MIT Press, 2002
ISBN: 0–260-66173‑X
Atomen Individualität zuzuschreiben, ist sozusagen ein tautologisches Oxymoron, da Atomen physikalisch eine individuelle Identität quasi verboten ist.
Seit jene sich sehr wohl und letzlich unendlich als teilbar erwiesen, steht jede Individualität im Verdacht, insgeheim doch teilbar zu sein. Ich finde ja, daß meine Identität wie ein Gefunkel, ein Schwarm, ein multiples Tentakel sich durchaus teilbar verhält und mit irgendwie abschließbaren Grundstücken oder sonstwie festen Kern-ICHs nichts mehr zu tun hat – dennoch gibt es die Empfindung konkreter, vereinzelbarer Momente, die mit einem „individuell“ doch zu fassen wären. So beweglich gar turbulent eine Situation auch sei, auf ihre Momente kann man sozusagen mit dem Finger zeigen.
Pesics Buch scheint auch diesen Gefühlen die letzten physikalischen und philosophischen Gründe zu entziehen. Der Mangel an Individualität wird gesteigert duch die völlige Gleichheit und Austauschbarkeit aller Partikel der physikalischen Teilchenwelt. Ein Skandal, ein Würgen im Halse — produzieren sich Künstler doch als individuelle Individualitätshersteller. Andererseits veröffentlicht das Buch das Photo eines isolierten Xenon Atoms. Es zeigt: hier, jetzt, da war’s. Wissenschaftliches Photo! O.K.! Natürlich, das Photo ist ein Konstrukt, aber zeigt es nicht ganz genau …
Das große, bläuliche Xenonatom hat sogar ein Loch in der Mitte, durch welches ein Nickelatom sichtbar wird.[Image originally created by IBM Corporation]
Tom Raworth
Collected Poems
carcanet Press limited, 2003
isbn 1−85754−624−5
Mit einem ganz kurzen Gedicht hatte er mich. „Jungle Book“. Fünf Zeilen, mehrfaches Rätsel, eine Mahnung, Wahrheit über Kunst und Konkurrenz … und wann es tödlich ist, zu vertrauen, Selbstverständlichkeit zuzulassen. Ich werde versuchen, das Gedicht für die Geopoetseite, speziell Unterseite shop, zu bekommen. Übersetzt hab ich es schon mal (pdf). Und seit dem 18.2.2011 17:26 habe ich netterweise (Danke!) die Erlaubnis zum Abdruck! [Das Gedicht ist kostbar für mich. Ich bin noch nicht entschieden, wohin ich’s auf der erneuerten geopoet.de setzen soll.
Elias Canetti
Über den Tod
Carl Hanser Verlag, 2003
isbn 10 3−446−20239−0
Der Tod ist DER FEIND. Punktum.
Kurt Rossa
Todesstrafen
– ihre Wirklichkeit in drei Jahrtausenden
Gerhard Stalling Verlag, Oldenburg/Hamburg, 1966
isbn (noch nicht ein isbn-buch)
Bei uns im Hause befand sich die Gemeindebücherei, und ich hatte freien Zutritt, wann immer ich wollte und freie Auswahl. Das Leseparadies meiner Kindheit. Manchmal aber schneidet man sich sogar im Paradies.
Irgendwann geriet mir dies Buch in die Hände, ich schlug es auf, zufällig sofort auf einer der Bildseiten – Enthauptete! Schlimm! Ich schlug sofort wieder zu, aber das Bild hatte ich schon, einen grausamen Augenwurm, ein Photo, das von da an nie mehr Ruhe ließ. Schock, Entsetzen sind zu schwache Wörter. Als ich viele Jahre später Bataille las, kam ich der Klinge, die damals in mir abbrach, am nächsten, ohne sie ziehen zu können. Durch jenen ersten Blick gibt es für mich keine Bühne, keinen Auftritt, keine Ausstellung, nie eine bewußte Präsenz, die nicht auch Schafott ist. Und darüber hinaus ist da keine administrative, institutionelle oder insgesamt soziale Situation, die sich nicht umstülpen könnte und von ihrer Aufgabe Schutz und Dienst, die gute&freie Einbettung all ihrer Einzelnen abzuliefern, umschlagen könnte ins Gegenteil, in mörderische Tat. Hier im Namen der Gerechtigkeit.
Das Buch, das ich in den folgenden Jahren umkreiste immer zudringlicher, so wie mit Zunge im schmerzenden Zahn las und las in kleinen Schüben zunächst heimlich natürlich eine, zwei Seiten mal hier mal da — das Buch stellte sich als eine engagierte, klar argumentierende Schrift gegen die Todesstrafe heraus. Ungeläutertes Recht, das zu morden unternimmt, führt sich selbst ad absurdum und entzivilisiert die eigene Gesellschaft. Der zum Paket geschnürte, sich in Todesangst windende Delinquent, verblieb ante mortem schon derart massiv als bloßes Dingstück, daß mir schien, nicht mehr allein seine Befreiung, sondern nur die aller Dinge, nicht mehr lediglich die Emanzipation aus verhärteten Gesellschaften, sondern nur die aus Objektivierungen überhaupt könne so etwas heilen. Wobei die Abschaffung der Todesstrafe und die Linderung aller Motive, die zu ihr führen, natürlich sofort anliegen müssen.
Irgendwann wurde die Bücherei aufgelöst, ich konnte mir einige Bücher aus dem Bestand retten, das schmerzhafte war dabei und gehört mir bis heute. Innerhalb meines Werkes ist das „Promenadenkonzert“ die Arbeit, in der seine ansonsten kaum merkliche Anwesenheit am deutlichsten fühlbar wird.
Der zum Paket geschnürte, sich in Todesangst windende Verurteilte, wie er, »Ich bin unschuldig!«, stammelt, »Das ist höhere Gerechtigkeit!«, schon ante mortem nur mehr Ding&Stück — den Mechanismus der Enthauptungsmaschine neu aufgezogen: ließen sie das Beil endgültig fallen.
Bernhard Floßdorf
Kreativität
Bruchstücke einer Soziologie des Subjekts
Syndikat, Frankfurt/M., 1978
isbn 3−8108−0081−3
Kreativität ist die Weise, wie Schöpfungskraft ausbeutbar gemacht wird.
Ratlosigkeit macht erfinderisch, so kommt man durch den Alltag, das Leben, die Welt.
Mit dem „Kreativen Zirkel“ ist das Ratten-Rad erfunden, in dem man Spezialisten innovationsfördernd auf der Stelle treten läßt. Ich habe das Buch lange nicht zur Hand genommen. Ich erinnere mich noch an jenen Kern, der seitdem härter, drückender geworden ist, eine peinigende, massive Erbse unter den Daunenkissen angeblicher Kreativitätsfreundlichkeit und Individuationsfreudigkeit in dieser unserer kapitalistischen Gesellschaft. Als einen Kreativen bezeichne ich mich wohlweislich nicht mehr, seit ich das kleine Buch gelesen habe. Und seit langem sehe ich den industriell-universitären Komplex, wie er sein Intellens- und Kreatifsproletariat in die Ökonämie spuckt. Das Buch fängt unterhaltsam an und entwickelt sich zu einer elegant geschriebenen Kritik der Kreativität. (Ach ja: Pädagogen und so sollten das Buch mindestens dreimal lesen.)
Gaston Bachelard
Die Flamme einer Kerze
(Theorie der dichterischen Einbildungskraft)
Edition Akzente, Hanser, München, Wien, 1988
isbn 3−446−14069−7
Der Widerschein einer einzelnen Kerzenflamme.
Bachelard erzeugt einen flackernden Erkenntnisraum aus Flammen-Imaginationen — flammenden Imaginationen, unsteten, metamorphen, ineinanderfließenden Präsenzen: Träumereien, die zunächst als zu realer Erkenntis unfähig erscheinen, dann als Urgrund von Welterkenntnis, dann als Substanz von Wissenschaft, dann endlich auch als Korrektiv zu naturwissenschaftlichen Standardmodellen, schließlich ebenbürtig. Darf man soweit gehen? Würde Bachelard soweit folgen? Sicherlich, sogar voraus, so wie er Begriffe von Diskontinuität in wissenschaftlichen Entwicklungsprozessen pflegte, lange bevor Thomas S. Kuhns Licht die Tenne betrat. Was jedenfalls als eine Sammlung von kommentierten „Feuer-Stellen“ in Literatur und Philosophie erscheint, ist eine sehr breite Startbahn für ein Überdenken der Unruhe, aus der jedwede aufmerkende Erleuchtung springt.
Doch allein schon als Stoffsammlung zur Kerzen/Flammenmetapher anschaffenswert.
Und noch dieses: Bachelards, „Psychoanalyse des Feuers“, ebenfalls Edition Akzente, bei Hanser, 1985
Leszek Kołakowski
Der Mensch ohne Alternative
Von der Möglichkeit und Unmöglichkeit, Marxist zu sein
Piper Verlag München, 1964
isbn 3−492−00440−7
Entschiedenheit, Perfektion, Konsequenz, … und endlich schon banal, Wiedererkennbarkeit, Brand & Marke, Stil — Begriffe, in deren Nähe werde ich unruhig, Fluchtreflex, Ausweichverhalten, wie naiv auch immer: Ich will mich nicht auf nur eine Spur festlegen lassen, nie alles auf nur eine Karte gesetzt haben.
Entweder/Oder-Situationen machen mir vor allem Angst. Beklemmung.
Inkonsequenz ist mir nah, schon erzogen wurde ich inkonsequent, und wenn etwas in dieser Erziehung war, in dem ich mich wiedererkannte, mich wiedererkenne, dann die Inkonsequenzen meiner Eltern. Stringenz finde ich immer nur im Nachhinein, wenn die großen Lebensresultanten im Überblick manchmal sichtbar werden dürfen.
Den Aufsatz Leszek Kołakowskis: „Vom Wert der Inkonsequenz“ las ich Ende der siebziger Jahre im Philosophiestudium und empfand das erste Mal für einen philosophischen Text so etwas wie Wärme, Wiedererkennen.
Verwandtschaftswärme. Das muß man sich mal vorstellen, Inkonsequenz als Wert, als ein moralischer WERT, als wissenschaftlicher und künstlerischer WERT.
Dabei ringsum damals all die um Konsequenz ringenden, um Abgenzung kämpfenden avantgardesquen Gruppen- und Individualfehden (sie haben ja auch einen Lehrstuhl für Kołakowski in Frankfurt zu verhindern gewußt), … sind heute endlich schlecht abgelöst durch Markt- und Markenkonkurrenzen, Alleinstellungskennzeichen, Innovationsziele …]
Inkonsequenz als Wert, aber noch wichtiger, als ein Mittel, sich den Möglichkeitshorizont offen zu halten, ich las, und die von mir zuvor als Schwäche empfundene Unklarheit&Vielfältigkeit meiner Ausrichtungen bekam Geltung und Würde.
Toleranz, wenn sie lebbar sein soll, braucht Inkonsequenz.
Kunst fasse ich als Möglichkeit auf zur internen Inkonsequenz. Werk und Haltung bleiben tentakelnd, unruhig und unrein.
Es resultieren entsprechend externe Inkonsequenzen. Ich befeinde Fanatismus.
Aber sicher, Inkonsequenz zu fanatisieren, alternativlos zu betreiben, geht nicht. Auch Konsequenz kann man mal gut sein lassen.
Carson McCullers
Das Herz ist ein einsamer Jäger
Diogenes Verlag Zürich, 1974
isbn 3−257−20143−5
Am Ende scheint’s, erlischt noch wie ein letzter Funke Hoffnung die so unangemessene wie wohlwollende Liebe, die Brannon, der Wirt, gegenüber dem Mädchen Mick, ihrer „spröden Kindlichkeit“, hegt.
Während sie mit den Entfremdungen des Erwachsenwerdens kämpft, trauert er um die Kinder, die er nie wird haben können, sie schlägt die Beine übereinander, um eine Laufmasche zu verbergen, er sieht, sie mißverstehend, ein geziert dämchenhaftes Gehabe, welches ihm ihre Besonderheit zerstört. Zuvor schon sind die Träume und Hoffnungen der Helden des Romans allesamt erloschen und sind einer allgemeinen, tiefen Ernüchterung gewichen. Die große Depression der dreißiger Jahre hat sie ausgelaugt, weggeschwemmt.
„Ein verzweifelt schönes Buch über das Scheitern menschlicher Sehnsüchte“ (Elke Heidenreich); „A common cry of isolation“ (Dana Gioia); am Ende sind der Taubstumme und sein taubstummer Freund tot, der Möglichkeitsraum des Romans scheint verfallen — trostlos. Tragisch? Nicht die Taubstummen, es hätte das Taubstumme der Zeit sterben müssen — aber doch es starb einige etliche Jahre später. Immerhin. Der verlorene Pessimismus des Buches ist für mich ein Pessimismus, der verloren hat.
Ein Buch über das Gären, über Latenz, darüber, daß alles schon da ist, virulent, was später aufkommt, hochbricht: Noch etwa 16 Jahre bis zu Rosa Parks, Alabama; 25 Jahre zu den initialen Studenten- unruhen, Sprout Hall Berkely; 27 Jahre bis zur Gründung der National Organization of Women…
McCullers (*1917) stirbt 1967 auf dem Höhepunkt der Hippiebewegung und der Anti-Vietnamkriegs Proteste.
Ein Buch über die Widerständigkeit jenseits allen Hoffens.
In Sachen Deutung bin ich öfters nicht d’accord, besonders sehe ich nicht John Singer im Zentrum, sondern Spiros Antonapoulos, die Singularität im Zentrum, Singer ist konstruiert als die
spiegelnde ≠ reflektierende
Peripherie der McCullers Welt. Man sehe die „Stoffsammlung zur Golem-Anlage“, die ich hier als pdf (92KB wachsend) hingestellt habe.
Hans Peter Duerr
Traumzeit —
Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation
Syndikat, 1978
isbn 3−8108−6677−5
Sein Buch Traumzeit, S. 9 bis S.162 der argumentierende Thread Langtext mit Kapiteln und mit Bildern, dann von S. 163 bis S. 415 Anmerkungen auch mit Bildern und Apparat. Der Anmerkungsteil länger als der Haupttext, am Haupttext hängt das Gestückel der Nachweise und ihrer Kommentare. Ich konnte mich in beidem festlesen. Ich konnte von hinten nach vorne springen, was öfters reizvoller war, als umgekehrt. Von der Ausgrabung in den Schwung von Erzählfluß und Strategie. Das mochte ich also schon mal.
Traumzeit — Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation
Der Titel gefiel mir schon vorher. Ethnologie darin, Erkenntnistheorie, Bewußtseins-erweiterung u. ‑lenkung, Reise als Erfindung, Phantasie als Realierung. Gedankensprünge und Anschlüsse; Nachweise und Skepsis.
Dort fand ich den Titel für meine Performance »Nachtfahrten«. Denn im Buch hatte es jene »Nachtfahrenden«, die innerlich ausflogen über Berge und Täler, dabei Landschaften divers kreuzten, aber für Zeugenaugen starr und stille lagen und blieben. So hatte ich also ein Wort , welches sich neutraler und unbelasteter verwenden ließ als z.B. Medium, Schamane, Hexer, Hexenmeister, …, dennoch diese herein holte in mein gelbes Auto und die abgefahrenen Landschaftsschöpfungen, allegoretischen Reiseerfahrungen im Anderraum der Performance meiner Heimfahrten damals, in der Leere des Autos und die langen langsamen Autobahnfahrten, Asphalt, überholende Lastkraftwagen, Rücklichter, Tankstellenblau, Konstrukte von Traumzeit passierten die Dämmerung am Morgen nüchtern und säkular.
Es brauchte für mich weder der Salben oder Injektionen, in mir fuhr ich ganz von allein ins Weitere.
Nachtfahrten gibt es auch am Tage, so wie es über dem Blau des Himmels mitten in Olbers Paradox das Schwarz gibt.
Motorgeräusch. Und noch ein Buch von ihm: Ni Dieu – ni mètre, Anarchische Bemerkungen zur Bewußtseins und Erkenntnistheorie. 59 Seiten Text und 180 Seiten Apparat. Dieter Henrich und Paul Feyerabend als Paten seines Sündenfalls, den er von Anfang an zu verteidigen weiß. Bei der Anziehung, die die Naturwissenschaften auf mich ausüben, tolles, teuflisches Gegenmittel — Liebe zum Leben eben. Kopfstress inclusive.
Teufel → Pan → Prometheus’ Verwandlungsflucht des angeblich Bösen, Tricksterreise erlösend hin zur Veränderlichkeit der Welt → das Neu wehe und wohl.
Hans Peter Duerr
Ni Dieu – ni mètre
Suhrkamp, 1974
isbn 978−3−518−28141−3