Performance am 30.8.2024 unter dem DISFU-Lesemotto »Doppelt oder Nichts« Lüneburg, im Samowar/Hinterhaus 19:00
Wieder hatte ich Glück. Publikum, erste Reihe, freundlich, jemand übernahm es, die Performance mit dem Handy aufzunehmen. Ich danke Stefan Wübbe für die Mühe (ist wirklich eine)! Somit also ist das Photo links ein Link auf YouTube.
Der folgende Text entspricht dem Merkzettel, den ich mir zu den meisten Performances mitbringe. Ein Spickzettel mit Stichpunkten gegen ein Verlorengehen in der Menge aufkommender Ideen-Abzweigungen. Spontanität hin oder her, etwas Orientierung sollte sein, was nicht heißt, daß ich meinen Intuitionen nicht vertraute. Doch sogar bestimmte Abweichungen unterliegen vorherigen Kursplanungen. So oder so ungefähr. Diesmal habe ich rückblickend (Selbstkritik nach Video) »etwas viel auf das Blatt geschielt«🙄😶.
Die Notizen leben durch ihre performatorische Ausführung.
Titel: »Hier und Jetzt« – auslassen.
Spannung:
Ein ganzes Stadion Leute spitzt sich auf 10Sek.
Spannung:
Am Ziel die Zeitmessung dealt inzwischen mit tausendstel Sekunden. *)
*) 100m Sprint 5 Tausendstel 2024 Paris Lyles vor Thompson
Weltrekorde im 100-Meter-Sprint:
Goldstandard der Leichtathletik,
Ohne Prothese: Der Weltrekord für die 100 Meter liegt bei 9,58 Sekunden und wurde 2009 von Usain Bolt aufgestellt. Bolt ist der schnellste Mensch, der jemals über diese Distanz gemessen wurde.
Der Sprinter legt in einer Sekunde etwa 10,44 Meter zurück. x2=20,88 – x2=41,76 – x2= 83,52 – x2=167,04 Meter in einer Sekunde. Eine viermalige Verdoppelung der Geschwindigkeit würde den Läufer in einer Sekunde um fast die doppelte Distanz über das Ziel hinausschießen lassen. Bzw. verliert sich eine immer längere Strecke in immer kürzerer Zeit.
Mit Prothese: Der Weltrekord für die 100 Meter bei Sprintern mit Prothese liegt im Bereich von 10,57 Sekunden und wurde von Jonnie Peacock im Jahr 2012 aufgestellt. Der genaue Rekord kann je nach Klassifizierung (z. B. T43, T44) leicht variieren.
Der Sprinter legt in einer Sekunde 9,46 Meter zurück. x2=18,92- x2=37,84- x2= 75,68- x2=151,36 Meter in einer Sekunde. Eine viermalige Verdoppelung der Geschwindigkeit würde den Läufer in einer Sekunde um bald die doppelte Distanz über das Ziel hinausschießen lassen. Bzw. es verliert sich eine immer längere Strecke in immer kürzerer Zeit.
Weltrekorde im 400-Meter-Sprint, Unterschied noch 0,3m/s
ohne Prothese: 9,30 Meter pro Sekunde; etwa 9,30m/s
mit Prothese: 9,00 Meter pro Sekunde; etwa 9,0m/s
Bald sind die Paralympics den gewöhnlichen überlegen und auf dem Weg in eine ganz sacht, natürlich und human voranstrebende Cyborgisierung.
Kann man sagen, sekündlich wird Strecke übersprungen? Entwertet, abgehängt, zum Unort?
In der Tendenz läuft das auf eine Körper- und Raumerfahrung hinaus, wie bei Gedankensprüngen, Filmschnitt, die Verkürzung von U‑Bahntunneln auf Null, endlich einem Sprintbeamen als (Her-)Ausnahmeerfahrung.
— Vielleicht, da Sport durchaus wie die Kunst dem Selbstzweck huldigt, bereitet sich hier eine Gesellschaft von Träumern vor, die dem Hier vom Jetzt immer schon entflohen sogar voraus ist.
Ohne HIER.
Ich möchte dem vonseiten des Jetzt vom Hier entgegenkommen und habe zum Träumen mitgebracht.
Ich installiere zwei Trinkgläser je halbvoll mit Salzwasser, nebeneinander direkt vor mir, zum Publikum hin.
Ich könnte eine Kerze vor mich hinstellen, nachts, und in diese Kerze hineinträumend, Gedanken verfassen und aufschreiben. (Die Energie, Hitze angestrengter Körper, und das Aufzehren von Strecke, wären für ein Flammenereignis.)
Flammenträumerei —- Wasserträumerei?
Ich entschied mich aber für zwei Glas kühles Wasser, weniger tut’s auch: weniger Energie, weniger Ereignis, zweifach einfaches So-Sein, dem Angeschautwerden ergeben präsent.
So beginnt die Herausforderung. All die Augen, die ganze ruhigzustellende Sensorik, das gesamte Innenleben, …
Ich beginne mit der Kontemplation der beiden Gläser, schweige, schaue, bleibe konzentriert.
Ich vergesse die Zeit. Ohne Zeitdruck, die Zeit verdunstet. Das kann Tage, Wochen so gehen. Es ist nicht so einfach, während man der Last der Zeit ledig wird, inmitten solch Leichtigkeit bei der Sache zu bleiben.
Beobachten und Beschreiben, ein loser Halt, der erfahrbar macht, wie wenig stabil die Beziehungen in der gemeinsamen Situation sind.
Gemeinsame Gegenwart, Zeit wird in der Begegnung flüchtig. Die Gedanken fliehen mit und schweifen ab. Falls ich’s nicht aushalte …
Wasserträumerei.
Die Frage, ob ein Glas halb voll oder halb leer sei, ist bei zwei Gläsern seltsam, nämlich auf beide bezogen, gilt die Antwort: sowohl leer als auch voll.
Das Moment von Zukunft während Gegenwärtigkeit expandiert. Schauen nicht umgekehrt die Gläser zurück? Habt Ihr nicht auch den Eindruck?
Das Zeitlos heißt, »Hier«. »Jetzt«, entfällt. Ereignislosigkeit, Monotonie, Entzug, Unberührbarkeit,
schon gar durch Worte: trotzdem hat’s im statischen Hier Unruhe-Formen, ein Wollen, Auskriechbereitschaft von Geschichten, die Gläser zu umhüllen: so mach ich jetzt etwas Gemeines. Eine zweite Schicht.
Ich leg eine Erwartungserzählung (Suspencespender) drauf, Spannung als hätte es ein allgemeines Bedürfnis nach Ereignis-Expression.
In den Gläsern könnte tatsächlich Salzwasser sein.
Wobei, wenn, dann: es ist im Salzwasser doch kein Salz, gar nichts. (Nur Na-Wasser-Cl.)
Da ist lediglich die Erzählung vom Lösungsgleichgewicht und vom Salzkriechen. Macht aber alles nichts, denn tatsächlich verharren die Gläser verschlossen. Wir sind ihnen egal.
Ohne JETZT