1982, Nr.1, das Standard-Senfglas-unter-Salzkruste
— erneute Performance, Nr.2, 8.6.2024 —
Es gibt nur dies Photo. Ansonsten ist dieser erste Versuch einer gezielten Salzung nicht dokumentiert – vielleicht meine alte Anleitung noch. Auch das Photo ist spät. Der weiße Kragen auf der Glasplatte rings um das Glas ist schon zerbrochen. Es hat Staub. Doch immerhin. Dies Photo gibt es — und nun diese neue Salzungsanlage als eine Neuauflage. Seit 08.07.2024: Ein einfaches Trinkglas aus dem Küchenschrank, gesättigte NaCl-Lösung zur Hälfte eingefüllt.
Die Anahme, daß nichts passiert, ist getränkt und gekränkt von einer Erwartung, die vom Standardglas bestimmt wird. Der rauhe schneeige Überzug soll her. Man will aktivierte Zeitlupe, die Enttäuschung macht, daß man unüberlegtes Zeug redet.
Natürlich passiert nicht nichts, sondern viel. Und es ist eine Aufgabe, dieses sich vorzustellen. Was also, und zwar umfassend, ist im Gang. Diese Tage unerfüllter Erwartung sind ein Geschenk Offenheit — Aufklärungsanlage.
Ich bin mir noch nicht schlüssig, ob ich ein Menu, z.B. des Zeitverlaufs, machen soll. Im Moment finde ich o.k. wenn man scrollt. Das Scrollen wäre dem Warten analog zu sehen. Es gibt keine Abkürzung. Zwar kann man beschleunigen, aber das ist doch ein gewalttätiger Zug, kein gutes Gefühl; plötzlich geht’s ihm zielbewußt ab. Man rennt auf’s Geratewohl. Man fliegt an dem vorbei, was man verpaßt. Also nein, kein Menu.
4.9.2024 – doch ein Menu.
Das Photo ist vom 16.6.2024. Seit dem 8.6. passiert nichts. Keine Ausblühung, kein kleinster Kristall im Meniskus gewachsen. So lange hat es beim ersten Glas von 1982 nicht gedauert, oder erinner ich mich falsch? Ich beginne an mir zu zweifeln. Ich hadere mit der Eigenwilligkeit der Lake. Heilige Ungeduld.
Meniskus heißt Möndchen; deutlich sähe man die Sichelform in Reagenzgläsern.
· · · · 16.6.2024 · 29.6.2024 · 8.7.2024 · 12.7.2024 · 13.7.2024 · 25.7.2024 · 1.8.2024 · 7.8.2024 · 12.8.2024 · 15.8.2024 · 26.8.2024 · 1.9.2024 · 4.9.2024 · 4.9.2024 Performance · 9.9.2024 · 10.09.2024 · 10.09.2024 Licht&Schlicht · 31.10.2024 · 4.11.2024 · 20.11.2024 stagniern · 2.12.2024 Wolkenring · 22.12.2024 Ungenügen · 28.12.2024 pale blue dot · 1.1.2025 neuer Wasserstand · 3.1.2025 nasse Füße · 16.10.2025 was Gestörtes · 18.1.2025 kräftige Entwicklungen · · · ·
Das Photo ist vom 29.6.2024. Seit dem 8.6. ist nichts passiert. Ich bin unruhig. Ich verdächtige mich, nicht wirklich gesättigte Lake angerührt zu haben. Ich streue gar nachträglich von dem Salz einen Teelöffel hinein. Das Salz bleibt unten liegen. Die Lake war gesättigt. Ich wüßte gern, warum die Lösung nicht kommt. Der Wasserspiegel ist gesunken. Übersättigung?
Das Photo ist vom 8.7.2024. Nach vier, 4!, Wochen ein Lebenszeichen. Morgens hatte es eineinhalb Zentimeter fein nach oben gesponnen. Kristallplättchen schweben an der oberen Kante des Meniskus in dessen Nässe transparent. Weiter oben schneeiger. Die Salzschicht selbst wirkt ausreichend nass. Ein Kratzer im Glas hat kapillar angesaugt an seinem Ende einen kleinen Kristallfleck ausgebildet.
Nun schon kein Anfang mehr. Es wirkt etwas aufgelöster. Hinten, unscharf im Bild, lappige irgendwie haltlose Spitzenstickerei. Doch, hinten schneller.
Das Photo ist vom 9.7.2024. Nach vier, 4!, Wochen plus ein Tag. Es geht langsam voran. Ich darf nicht zuviel erwarten. Ich mach keinen Film, nur jeden Tag ein Photo. Film erforderte anderen Aufwand. Ich geh bloß immer hin mit dem Handy. Schnappschuß. Der Unterschied vorn im Glas zur Hinterseite wird stärker. Dendritisches Aufwärtsfließen. Ein Ansatz von Flußsystemen, Entwurf sozusagen.
Das Photo ist vom 12.7.2024. Wunderschöne Salzblumen. Quasiflora. Wie Eisblumen. Aber kontinuierliche Aktivität, ein ästelndes Hinauftasten, allgemeine Neugier, auch auf sich selbst, NaCl-Wassser.
Ich bemerke kleine Kristalle auf dem Boden. (Folge des anfangs ungeduldig nachgeschütteten Salzes? Oder Eigenart dieser Salzung?)
Das Photo ist vom 13.7.2024. Abgesehen von den Verzerrungen durch das Glas, wird die feine Dendritik flächiger, gedecktere Adern. Alles strebt in die Breite und ineinander.
Das erste Detailphoto vom 13., das zweite vom 14.7.2024. Dort beginnt eine grundsätzliche Veränderung im Erscheinungsbild.
Ich warte darauf, daß die Zunge den Rand erreicht. Es geht nicht wirklich sichtbar voran. Jedoch die Schübe sind schön sichtbar. Wirklich schön.
23.7.2024
Ich warte darauf, daß die Zunge den Rand erreicht. Es geht nicht wirklich sichtbar voran. Jedoch tut sich nicht etwas, schmal am Rand?
24.7.2024
Ich warte darauf, daß die Zunge den Rand erreicht. Es geht nicht wirklich … Was soll diese seltsame Auflockerung in der Fläche. Neues franst an den Rändern aus.
So’n Glas ist rund. Tja. Der nächste Schritt an anderer Stelle. Schon etwas länger dokumentiere ich den Meniskus (das Möndchen), den Boden, die Wand aus anderen Richtungen, Zoom oder nicht. Wird bei Gelegenheit gezeigt. Ist aufschlußreich. Hier geht es über den Rand. Das ist etwas Besonderes. Die Salzkruste setzt sich mit der Form ihrer nächsten Umgebung auseinander. Schmiegen. Begriff ist … …
Die Kruste zieht um und über den Rand. Noch expandiert sie nicht über die Fläche. hält sich randnah. Der Rand konsolidiert sich. Es gibt eine kleine unbedeckte Region mit schönen Salzblumenfjorden. Werden bald in der Überdeckung verschwinden. Aber es nimmt sich Zeit.
Interessant, wie deutlich sich seitlich an der Glaswand Hohlräume zeigen. Wie Blasenspiele unter Eis.
Der Rand gewinnt an Fülle. Knötchen sind Blumenkohldendriten geworden. Der Grat trägt quasi eine Schneelast. Na ja, Energiebild, vor dem Fenster heißer Sommer, über 30°C. Das Licht in den Photos zeigt das. Wärme macht die Schicht dicker. Wenn draußen Regenwetter macht die Kruste Strecke. Ab nun deutlich nach unten. Aber sehr langsam. Habe 6 Tage übersprungen.
Kennt man die Formen vom 7.8. in denen vom 12.8. wieder? Kann man das Wachstum en détail nachverfolgen? Nicht so einfach bis unmöglich. Da wäre eine viel feinere Auflösung der Zeitlupe nötig, würde aber vor allem die Turbulenz der Veränderungen offenbaren. Der Prozess, in welchem Strukturauflösung und ‑aufbau sich die Waage des Lösungsgleichgewichtes weiterreichen, verwischt durchaus auch Spuren.
Ich fülle gefühlt alle drei Tage Salzlake nach. Dazu habe ich eine Spritzflasche, um mit dem Druck der Hand gezielt die nötige Menge so einzubringen, daß ich die wachsende Schicht nicht beschädige. Ich ziele immer in die Mitte. Hier der Deckel, und ein Indiz für die Fähigkeit und den Impetus der Salzlösung zu entkommen. Der enge Abstand zwischen Steigrohr und Muffe genügt um auszukriechen.
li.: Kontakt zum Lakespiegel fast verloren, doch fast unsichtbarer Nässefilm;
re.: aufgefüllt für normalen Sog, Kruste reicht bis unter den Spiegel.
Der Salzaußenrand wird breiter und dicker. Es gab ne Zeit lang wenig Wassernachschub, was Verzögerung bedeutet. Mich stört für die Photos inzwischen die Durchlichtsituation. Das Relief wird nicht deutlich.
Ich stellte das Photo in Twitter ein:
»15.08.2024 — Was passiert da grad.«
Frank Staudinger antwortet mit:
»Die Salzblüte geht auf Wanderschaft.«
Und veranlaßte mich fortzusetzen: »Die erste Schwelle ist überwunden. Gefälledrive, aber immer noch langsamst: Wanderschaft — wenn der Wanderstab neben dem Glas abgelegt, wartend, dabei selbst überblüht, überwandert würde; … ist wahrscheinlich. Was ein seltsam hochromantisches Moment.«
Tatsächlich überzieht die Lakekruste begegnende Dinge, so sie stillhalten. Auch mich sofern dinglich. Überwucherter Wanderer.
Extremreise in die Ferne konzentrierter Ruhe: Samadhi; Eins mit dem Gegenstand.
Ich fülle zum einen häufiger nach, zum andern sinkt mir doch der Wasserspiegel, als wolle ich – aber das passiert unwillkürlich – die Kruste trockenhalten. Dennoch gewinnt sie an Fläche. Ich mag diese dünnen, anschmiegenden, unerheblichen Pioniermuster. Kragenbögen, so zart. Sie berühren mich, und ich verliere, während ich schaue, mein Zeitgefühl. Andauernd unmerklich ausgreifend jetzt.
Das Andauern der Zeit hat eigene Rythmen. Ich habe bis zum Abend gewartet. Das Durchlicht ist durch Streiflicht ersetzt. Das Relief der Salzkruste wird sichtbar. Wie die Zerklüftung sich von den flachen Spitzen her aufbaut. Sie wächst dreidimensional an. Auch zeigt sich der Abstand zwischen der inneren Salzbedeckung und der äußeren. Die äußere wirft Schatten durchs Glas auf die innere. Ein mächtig expansives Vordringen.
Ich fülle inzwischen öfters und mehr Lake nach. Mit wachsender Oberfläche zieht immer mehr Wasser durch. Ich wunder mich, daß die 3D-Korallen so trocken aussehen. Da sie wachsen, Broccoli-Dendriten und Pionierkrägen, müssen sie Lake sein, naß, Flüssigkeit aus dem Lösungsgleichgewicht und ein effektiver Verdunster von H2O. Indem wird Kochsalz zurückgelassen, d.h. es kristallisiert aus Na+ & Cl- Ionen.
Das Abwärtskriechen stagniert. Wo bleibt die Unruhe im Fluid? Die vorandrängenden Kristalle?
Wie eine Druse, füllt sich das Warten.
Aber kristallisiert es wirklich? Ich denke, daß, was trocken erscheint, könnte tatsächlich naß sein. Durchdrungen von sogar mehr als einer Restfeuchte, könnte die Salzung hydrophil einen Stand von Flüssigkeit halten, der statt in einer echten Kristallbildung zu enden, Lake Lake bleiben läßt.
Es fällt doch die amorphe Form der weißen Krustenbildung auf. Die ist anders als die transparenten Kristalle am Boden des Glases, wo sich in Ruhe die typischen NaCl-Kuben bilden dürfen, aber auch nicht tuen. Die Kruste in Bewegung behält sozusagen eine kristalline Unfertigkeit bei. Ultralangsame Gischt einer ultralangsamen Bewegung.
Ich weiß, Geologie und Mineralogie kennen noch ganz andere Langsamkeiten — das Kochsalz bleibt sozusagen der Kulturfolger unter den Mineralien und auch in Sachen Beobachtbarkeit nah am Menschen. Geduld reicht als unsere Zeitlupe aus — und sogar als kontemplative Erfahrung an sich, Selbstsalz
ewiglangsam —
Ich lasse mich leicht ablenken. Einfaches Beschreiben verliert mich. Seltsames Gefühl mit dem Beschreiben immer noch zu wenig gesagt zu haben. Zumal sich nichts tut. Zugleich weiß ich, daß ich auf diese Weise die »Es ist, was es ist.« Präsenz verrate. Ich frame wild drauf los, ohne Hoffnung, auf umfassendere Wahrheiten. Sogar dann, wenn ich auf wissenschaftliche Erzählungen aufspringe. Man könnte meinen, diese erklärten irgendetwas.
Gerade vor ein paar Tagen hatte ich eine meiner kleinen Talkperformances, anläßlich einer Disfu-Lesung (Thema: Doppelt oder Nichts, 30.8.2024, 19:00) im Samowar/Hintergebäude. (s.f. Link Konzeptnotiz.) Aus der Logik der Situation hätte ich auch ein, zwei brennende Kerzen vor das Publikum stellen können. Es war um 100m Sprint Weltrekorde gegangen. »Das Hier vom Jetzt und das Jetzt vom Hier.«
Ich entschied mich aber für zwei Glas kühles Wasser, weniger also: weniger Energie, weniger Ereignis, weniger Aufzehren, weniger Ruß und so, weniger solid, zweifach einfaches So-Sein, dem Angeschautwerden ergeben präsent.
Ich begann mit der Kontemplation der beiden Gläser, schweige, schaue, bleibe konzentriert.
Ich vergaß die Zeit. Ohne Zeitdruck Zeit verdunstend. Mürbend. Das hätte Tage, Wochen so gehen können. Expandierende Gegenwärtigkeit hat am Rande ein Moment Zukunft.
So ging es die ein oder andere Minute. Dann habe ich es nicht mehr ausgehalten, schon gar nicht vor Publikum. Es würde, nur nicht jetzt, sich etwas ergeben: und ich startete die »Salzlake und ihre intrinsische Expansivität« Rahmenerzählung. Andere Deutungen waren damit wohl futsch. Während die beiden Gläser blieben,
Performance »Hier und Jetzt«; Link auf YouTube
wie sie waren, füllte sich ihre, unsere Situation mit Erwartung. Man würde schon sehen, bei genügend Zeit, Geduld, Pflege der Salzung … Am Ende aber wäre doch die Gegenwärtigkeit der halbgefüllten Gläser als momentstabile Präsenz beharrlich zugegen.
Damit überließ ich die Situation den Leuten, nicht ohne zur Nachahmung aufzufordern. Warum nicht die eigene Salzungsanlage mit zwei Gläsern starten.
Begleiten, so wie es hier mit diesem einen passiert und mir und jedem Leser. Aber dazu — —
Der Status nach drei Monaten. Drei Monate Geduld und Kümmern. Ich fülle täglich nach. Die Salzung verdunstet Mengen an Wasser, drängt in den Raum, strebt auch über die flache Wand, abwärts und nähert sich dem Wasserspiegel. Sie prägt ein deutliches und aufschlußreiches Relief knotiger Dendriten aus. Wieso boten sich an genau diesen Stellen Gelegenheiten in dieser Weise hinauszuwachsen?
Und wieso an anderen Stellen genau nicht? Selbe Frage in Sachen Flächeneroberung. Äußere Einflüsse, aber auch wie verlaufen die Ströme vom Meniskus, wo die Kruste eintaucht, bis zu den zarten bogenförmigen Vorstößen. Wie kommt es zu den blanken Buchten und wie werden die endlich geschlossen?
9.9. bis 15.10.2024
Von damals bis heute, war ich verreist, krank, heftig krank, wieder, rekonvaleszent verreist, Seeluft, und nehme die Pflege des Standardglases Nr. 2 wieder auf. Während ich unterwegs war, trocknete der Kontakt zwischen Kruste und Lake ein. Der Prozess stoppte, mutmaßlich; war ich zuhause, lag im Bett, dann ging ich zum Glas, wie zum Blumengießen. Einmal am Tag, erinnerte ich mich und füllte Lake nach. Etwas achtlos und nicht wirklich neugierig. Die Kruste kam nicht voran. Ich wollte nur Wärme, Federbett. Dennoch kam es zu unterschiedlichen Photographien, so daß ich nun, wieder fit, nachholen kann. So sehe ich mich als ein reflexives Moment der gesamten Anlage. So weit, so banal. Der Salzgärtner fehlte der Sache. Die Sache aber blieb, und hatte indem ihr spezielles Augenmerk.
10.09.2024
Lichtspiele. Video, im Ordner hängen geblieben. So zart. Und es bezeichnet die besondere Situation der Salzung. Draußen vor dem Fenster tosen Herbsstlicht und ‑wind durch die Bäume am Haus. Lichternde Schatten und die Frage, wie diese die Kristallwanderungen beeinflussen mögen. Mich jedenfalls motivieren sie, weiterzumachen im Reich der Gespinste. Auch sollte ich mal eine Übersichtsaufnahme anfertigen, damit die ganze Schlichtheit der Anlage augenfällig wird. Jetzt, wo ich dabei bin, nach der langen Pause mein Engagement für dies Salzglas mit stiller Leidenschaft wieder aufzunehmen. Hier also sind wir zwischen Banalität und Zauber:
10.09.2024
Lichtspiele. Ein zweites Video. Weniger zart, dafür länger. Aber auch dieses bezeichnet die besondere Situation der Salzung. Draußen vor dem Fenster tosen Herbsstlicht und ‑wind durch die Bäume am Haus. Lichternde Schatten und die Frage, wie diese die Kristallwanderungen beeinflussen mögen. Mich jedenfalls motivieren sie, weiterzumachen im Reich der Gespinste. Auch sollte ich mal eine Übersichtsaufnahme anfertigen, damit die ganze Schlichtheit der Anlage augenfällig wird. Jetzt, wo ich dabei bin, mein Engagement für dies Salzglas mit stiller Leidenschaft wieder aufzunehmen. Hier also sind wir zwischen Banalität und Zauber:
Das Photo auch vom 10.9., aber so bietet es sich dar. Untere Zeile: Das Zentrum derzeit ist das vor drei Monaten als Salzungsanlage aufgestellte Trinkglas. Im terracottafarbenen Karton ein Glas, wo sich eine Salzung seltsam benommen hat (Restfeuchtigkeit zudem ins Papier gekrochen), rechts davon eine Lieblingsschale von mir zerbrochen, aber ich hatte die Energie noch nicht, mich ans Kleben zu machen. Weiter rechts, meine Salz-Vorräte. Bisher habe ich noch nicht mal eine solche Packung zur Hälfte gebraucht. Obere Zeile: Ganz links verborgen, ein Behälter mit Fensterbankinsekten, die innen vor dem Fenster tot aufgefunden wurden, und nun auf Salz trocken gehalten werden. Dann kommt dieser Buddhakopf aus Beton, an dem ein Origami-Kranich saugt (ich hatte in meinen Werken verschiedentlich auf Buddafiguren bezug genommen, und so waren diese zwei Betonköpfe als Geschenke auf mich gekommen); dann weiter links drei Stück Bahndammschotter, wegen ihrer Fähigkeit resiliente Schüttungen zu bilden, Lampenfuß, die Lampe benutze ich nicht, Salzwasser gegerbte Steine vom Strand, Zeichenmaterial, dahinter eine Lamellen-Jalousie, noch nicht angebracht. Nach hinten weg, äußere Zeile: die Bäume des Gartens sind eng an die Fenster herangewachsen, es ist wie im Baumhaus, Licht, Wind und Feuchtigkeit spielen ihre sympathischen Spiele. Bis jetzt war das Fenster auch durchgängig auf Klapp geöffnet. Sonnenwärme oft nicht zu knapp auf der mir abgewandten Seite — inzwischen wächst aber die vordere Seite schneller, wenn man das bei der Langsamkeit sagen darf. Öfters haben wir nun Heizungsluft. Hier nach vorn: hat es die Komplexität des Ateliers und meiner Anwesenheit.
»Salzwolkenbildung«. Zeit ging hin. Endlos langsam kroch die Kruste das Glas hinab Richtung Wasserspiegel. Die Ablagerungen gingen in den Wulst oben am Glasrand. Möglich, daß sich die Öffnung schließt und das Nachfüllen von Lake stoppt. Immerhin ist der Wasserspiegel nun erreicht – dabei ist die Dochteffekt-Katastrophe bisher ausgeblieben. Das Wechselspiel zwischen Lakeaufnahme und Ablagerung
Aktueller, heutiger Stand der Salzung. Die »Wolke« prägt sich aus. Ich werde noch Photos dazu einfügen. Vorher aber möchte ich eine seltsam konservative Entwicklung herausstellen, nämlich die der Bucht, die sich in der Mitte des Bildes beharrlich hält. Dazu folgen einige Belegbilder direkt im nächsten Abschnitt. Anders, als erwartet hat sich diese Form nicht zügig geschlossen. Ich hätte gedacht, sie würde schnell quasi
zugespült – habe ich doch die Vorstellung, daß die Salzung ein Fließen in kapillaren Strömungen ist und auf Zusammenfluß aus sein müßte. Aber nein. Bis in kleinste Ausformungen hinein ist die Bucht über lang stabil. Und immer noch nicht geschlossen.
Am 26.8. haben wir einen nach unten lappigen Rand unter einer parallelen Gratbildung mit rhythmischen Mustern. Am 9.9. haben sich Krustenerweiterungen …
… tiefer nach unten ausgebreitet, aber eine trapezförmige Fläche freigelassen, die oben an Reste der Gratbildung von vor 15 Tagen grenzt. Unten enden die Ausweitungen in flachzarten Vorschüben. Am 12.9. sind diese in wolligen Schüben nach rechts vorgedrungen. Interessant, daß
dabei die alte Gratbildung wie eine Schramme wieder deutlicher wird. Das Trapez mit links-zeigendem Rüssel nun auch optisch bewegt. Am 24.9. hat sich das linke Ufer der Bucht begradigt und mit zwei kleinen Ausblühungen in den Rüssel
hineingeschoben. Der strebt nun wie ein Canyon zu einem rund gefaßtem See. Das rechte Ufer der Bucht verhält sich abwartend. Bis zum 27.9. vergröbert sich die Kruste, ohne, daß die Küstenlinie Neuerungen zeigt. Nach weiteren 18 Tagen, am 14.10. hat sich daran noch nichts geändert. Die Sache stagniert offenbar. Der 27.10. freut sich über die Rechtswanderung von Teilen der linken Küste in schönen flach-rundlichen Schüben. Auch von rechts greifen frische Bögen
Es ändert sich wenig bis gar nichts. Keine großen Außen- gar Abwärtsbewegungen. Da merke ich meinen eigenen Ehrgeiz. Was ich insgeheim möchte, ist, daß die Kruste zur Unterlage hinunterkommt und in die Waagerechte ausgreift. Tja. Ich werde noch in Steuerungsversuchen enden. Besser nicht. Es ändert sich nichts. Was passiert denn wirklich? Die Ringwolke und die zum Pelz ausdifferenzierte Innenseite saugen und lagern an und lassen nicht durch. Nachfüllen füttert diesen Prozess. Das entmotiviert. Ich lasse da mal nach. Was wird passiern wenn jetzt von unten her der Lakestoff knapp wird. Schon greife ich experimentierend ein.
Bisher war die Stagnation autopoietisch generiert. Bisher habe ich immer tapfer nachgefüllt, sogar stieg der Wasserspiegel im Glas langsam an in die bestehende dicke Kruste hinein. Diese wurde dadurch angelöst. Was nun bei planvoll sinkendem Spiegel? Ich habe Photos vom Rand des Wasserspiegels, die interessante Prozesse zeigen. (Übrigens ist doch wohl interessant, wie Photodokumentation ebenfalls ein Teil des Geschehens wird sozusagen kybernetisch Steuerungsbegehren anregt.)
20.11.2024
Der Wasserstand (gesättiges Salzwasser) ist hier wieder herunterverdunstet um 3cm etwa. Innen ist die Wand feucht, eine Schicht, zweite Schicht sind flächig ausgebreitete Kristalle, sehr flach, und eine dritte vermute ich, weißlicher Schatten, die alte, beim letzten Anstieg angenagte Bindungsschicht zur Glaswand. Bild links detailierter →
20.11.2024
Seltsame Formen am unteren Rand der Kruste innen. Was sind das für Auswüchse. Salzfibromiges, das zum Wasser hin wächst? Funktionen übernimmt, Luftwurzeln? Vielleicht.
(Nebenbei, wie schön. Der so auffällige Salzwolkenring wird hier bald Motiv.)
20.11.2024
Ich wäre gespannt, ob der »Bruch« zwischen Wasserspiegel/Meniskus und der Salzkruste innen, sich selber heilen kann? Hier jetzt nicht über einer im Meniskus schwimmenden Kette kleiner Kristalle, sondern durch von oben hinunterwachsende flache Kristallisationen. Sowas könnte sogar ein iterierender Prozess werden. Aber da bin ja noch ich.
20.11.2024
Funktionen, ich denk, ja, als übriggebliebene. Die aus der durch Nachfüllfluten angelösten Kruste übriggebliebenen Blumenkohldendriten werden als Ausstülpungen zu den letzten Zuleitungen in die Kruste. Auch die wären Kandidaten zur Selbstheilung im Kontakverlust zum Salzlakesee.
Da war ich neugierig: Wie lange schon? Oh ha, tja, soso —
8.6.2024 —
20.11.2024
165 Tage
23,57 Wochen
Schon so lang! Wie weit noch will ich mitgehn. Da ist noch einiges unerfüllt. Und ich werde noch lang nicht enden mit dieser Sache. Nein. Es hat sich was mit Zeit und Dauer?
Jetzt ist es dran, den Wolkenring zu feiern. Was eine Pracht auch. Was eine Gier und Akkumulation!? Die Salzschicht drängt ins Volumen und hält dort ihre Resourcen. Ein Auge dem Salzwasser, übersatte Iris in Weiß. Mein Blick tief hinab zum Grunde, wo Kristallrudimente allgemein die Sättigung bestätigen. Man wird am Wolkenwall weiterbauen. Ich aber habe andere Pläne … und angefangen, an Nachfüllung zu sparen. Einerseits genieße ich diesen Salzwall als sensationelle Architektur, anderseits erwarte ich Wanderung außen; und innen etlich Neugier wegen der Ereignisse am Meniskus. Ich habe derzeit die Pflegeunlust. Was wird der Ring machen, wenn der Salzwasserspiegel sinkt?
Innen unten zieht sich der Wasserrand, der Meniskus, von der Salzschicht zurück. Eine Lücke entsteht. Die ist aber wohl noch so naß, daß man von einem Kontaktverlust nicht reden kann. Was wird sich in diesem Nässefilm tun. Flache Kristalle haben wir schon gesehen.
Oben wird der Wolkenring; wie Photos vom 02.12.2024 zeigen, bilden sich kleine kompakte Knötchen. Sieht nach trockenen Verhärtungen aus. Aber ist das so? Es bleibt spannend. Und schön.
19.12.2024
Sieht man genau hin, entdeckt man das Staubkorn vom 02.12., wie es schon fast überwuchert ist. Ganz untätig ist die hungernde Kruste also nicht.
22.12.2024, noch habe ich mich nicht an eine radikale Maßnahme, die Lake hinunter zu zwingen, getraut. Aber nachfüllen tu ich auch nicht. Ich denke nach. Was ist denn das mit dem Eingreifen? Bin ich nicht Teil jener Gestaltungsmacht Umwelt, Teil dessen, was man eine ökologische Nische nennen könnte? Dürfte ich als solche nicht meine Willkür spielen lassen? Ineinanderhängende Umwelten; wie hängen jene äußeren mit meinen Inneren zusammen?
Ich habe bemerkt, daß ich meine Beobachtungen mehr und mehr auf die Photos stütze. Sie offenbaren mir die nötigen Details zu den Veränderungen.
19.12.2024
Salzkristall»schlamm« am Boden des Glases. Mir scheint, er wird mehr. Kann das sein? Vergleich zum 26.8. und früher, doch, doch.
Das einfache Hinschauen kann mir nicht mehr genügen. Die Bilder sollen eine Abfolge bilden, wie eine Erzählung. Und das Ende steht schon fest. Immerhin veröffentliche ich im selben Zuge. Die langsame Salzung wird begleitet von einer fast hektischen Unruhe, unsichtbar, wie die im Wasser verborgenen Aktivitäten – Brownsche Bewegungen, Moleküle, Chlor, Natrium und Wasser, bindend, entbindend, bindend. Strömungen, Söge, unverstandene Kräfte, Vermutungen, Unwissen.
Ein-Klick geschwinde Lösungen schweben mir vor. Geduld in Zeiten des Internets …
19.12.2024
Blickt man an den zarten Flügelchen vorbei auf die Innenseite; es dort viel los. Am Meniskus angelöste Kristalle, bzw. sie bilden sich aus der Nässe. Dann als dicke weiße Körnung sich schon noch auswachsende Kruste. Alles Anstrengungen, den Abstand nach oben zur alten Kruste zu schließen.
… erscheint als Ungeduld. Analog zu den Klicks im Internet, drag&drop, ziehe ich Photos von der Salzung ab. Ich kehre jedesmal zum scheinbar statisch und banal anwesenden Glas zurück. Mache ein paar Bilder der Standardansicht, schau, was mir sonst beachtenswert scheint, knipse so gut es geht, und flüchtig. Klickbarkeit. Ich verweile nicht. Ich schiebe die Photos in den entsprechenden Ordner, Bildbearbeitung (nach einiger Zeit) und setze sie hier ein. Ich bin oft im Hintertreffen und eilig, was die Verarbeitung angeht. Das Glas wendet sich von mir ab. Von meinem Unwillen steckt ein Rest vielleicht noch darin, daß ich ohne großen Aufwand photographiere. Digitalkamera vorhalten, mehrere Aufnahmen aus freier Hand. Und fertig. Beschämt. Etwas schlechtes Gewissen?
19.12.2024
Blick in den Schlund des Glases. Die alte Wand aus Blumenkohldendriten wie ein zerklüftetes Schneefeld geht unten über in den Dürreabstand zum sinkenden Wasserspiegel. Dort schon Haufen, beginnende Dendriten, und kleiner, anfänglich chaotisch schneeige Weiße. Aufsteigend, nachfolgend.
Tatsächlich. Digitalisierung und Internet bestimmen meine Wahrnehmung und setzen meine Absichten unter Druck. Ich lasse mich gehen, und schon das manipuliert. Die Kruste, die mir ein Planet ist unter meiner Aufmerksamkeit, darbt unter meiner Stimmung, würde aber auch unter meinen Zielen leiden – schlicht, weil ich mich aus dem Spiel nicht entfernen kann. Zwischendurch vergesse ich das Glas, dann kehre ich aus dem Alltag reumütig zurück, und: mach nichts. Doch, Photos. Dagegen Salzlake und Salz, die haben Zeit, gleichgültigstes Warten. Abweisendstes Warten. Während in mir was bohrt, »Mach was draus!«
Während die Salzung sichtbar werden läßt, produziere ich ein Zeigen. Nun gut, so ist es dieses, was meinerseits sichtbar wird. Auf der einen Seite meine Eifersucht auf des Salzkriechen Beziehung zur Zeit; auf der anderen Seite, gefühlt, Millionen sensationslüsterne Geister, ein globaler Hintergrund mit Anforderung auf Reichweite. Doch »Quatsch!«; habe ich die nicht schon lang abgewiesen? Gehet mich nichts an! Ich nahm Beziehungen zu Salzkrusten auf, ich freue und leide – ach nee, der Künstler, ein exemplarisch Leidender – beispielhaft hin- und hergerissen. Ich erkenne hiermit an, daß ich zu dieser Salzung eine Beziehung habe.
Soziale Kristallisation, Realität als soziales Medium per se. Und sieh an, es ist fluide. Die Salzungsanlage ist angesetzt, ihrer Umgebung eine Situation zu kreieren. Individuell jeder Luftzug, jede Feuchtigkeitsschwankung, sogar meine nicht sonderlich geklärten Absichten erhalten anhand ihrer Ausformungen spezifischen Sinn. Kommunizierende Interaktion, von mir aus auch noch symbolisch. Durch die Prozesse geistert das alte Verspechen auf Unsterblichkeit.
Währenddessen zeigt sich die unbelebte Materie alles andere als nur tot. Ich weiß jetzt, daß ich die nächsten Tage dem Glas einen deutlichen Nachschub geben werde. Von wegen parasoziale Identifikation, da wird schlicht Interaktion fortgesetzt. Mal sehn, was passiert.
28.12.2024, Exkurs:
The pale blue dot.
Sylvester naht, Neujahr, dann werde ich dem Glas neu und reichlich einschenken; ist beschlossen. Jetzt im Vorfeld öffne ich den Blickwinkel auf’s Ganze. Was ist Umgebung?
Glücklicherweise eröffnet die Singularität des Photos vom ersten Salzungsglas eine entsprechende Thematik. Der Gegenstand ist verloren, es gibt nur noch das eine Photos als Beleg — das in einander zu winden mit dem berühmten Photo vom »Pale Blue Dot« bringt den Kosmos, unsern zersiedelten Planeten, die mediale Lage sehr besonderer Photographie und einige Lemifikation, Fantasy ins Spiel, scheinbar weit vom Salzen in meinen Salzungsanlagen entfernt. [s. auch Boris Goesl, »Die Welt als Bildpunkt»pdf]
NASA — A recent update, 2020, to this historic, 1990, portrait shows Earth as a tiny speck surrounded by the vastness of space. Siehe auch Wikipedia, »Pale Blue Dot«.
Ich nehme mal an, es hat einen Astronomen, dem es gelingt, einen neuen Planeten am Rande des Sonnensystems zu entdecken. Enthusiastisch und genau fertigt er die zum Nachweis nötigen Notizen an und ein Photo. Dann geht er mit seiner Sensation …
… an die Öffentlichkeit. Allein, trotz seiner Sorgfalt, gelingt es nicht, die Entdeckung zu bestätigen. Wegen seiner sorgfältigen Genauigkeit, und weil seine Entdeckung zu bestimmten Bahnberechnungen bekannter naher Planeten passen könnte, wird sein unbekannter Planet aber auch nicht verworfen. Er bleibt als Entdeckungshoffnung bestehen.
Eine hoffnungsvolle Leerstelle. Der vom Himmel ständig enttäuschte Blick durch die Teleskope lenkt allerdings die Aufmerksamkeit aus der nächtlichen Schwärze zurück auf die primären Zeugnisse. Notizen und Photo werden nun Gegenstand der astronomischen Forschung. Aus dem kargen Material entspringt mit der Zeit eine wuchernde Hermeneutik. Immer tiefer die Einsichten in das Material, immer tiefer auch die in den bewußten Entdeckungmoment, verzweifelte Annahmen über die Möglichkeiten eines Planeten, sich, kaum entdeckt, schon wieder zu entziehen, wie ihm die fatalen Eigenarten des Instrumentariums dazu beistehen konnten, wie seine Abwesenheit indirekt seine Gegenwart geradezu beweisen würde, und wie solch Schlauheit ihn sogar als eine Schwestererde vermutbar mache. Ein zweiter Planet, der Ich zu sagen gewagt hatte.
Eine hoffnungslose Leerstelle. Anderseits gab es solche, die mit noch größerer Dringlichkeit auf der Suche waren als die Hermeneuten, die nämlich, die hofften, mit der tatsächlichen Entdeckung würde endlich die Ernüchterung eintreten, mit welcher der Weltraum bislang immer die Hoffnungen der Menschen beantwortet hatte. Kein Himmelskörper hatte jemals den selig menschlichen Selbstspiegelungen – auch nicht den sachlichen Träumen der Astromomen – entsprochen. Sie hielten an der Praxis der Beobachtung fest, deren Mißerfolge sie minutiös protokollierten. Derart konstruierten sie in aller Frustration eine Welt, in der niemals irgendein Planet würde Ich zu sagen wagen, schon gar nicht ihre eigene enttäuschende Erde.
Schließlich kamen beide Seiten überein, daß es nötig sein würde, als ein Reenactment der ersten Entdeckung mit realerem Mittel, eine Raumfahrt in das kritische Gebiet kryptischer Anwesenheit/Abwesenheit zu organisieren. Planetbuilding, Reisen um zu verwirklichen. Reisen, um aus der Ferne erhoffter Entdeckung oder Enttäuschung auch jenen Spiegelblick zwischen hier und dort & dort und hier in die Leere des Zwischen einzusetzen.
Die Expedition erbrachte zum einen die Realität von Millionen die Sonne in der Ferne umkreisender Trümmer, und sie nahm ein Funkeln auf mit nur einem Bruchteil eines einzigen Pixels der lichtempfindlichen Platte. Dies Funkeln sagte, dort in der Ferne ist etwas. Nur das, »ist etwas«. Dies aber destillierte sich allein aus dem Rückblick auf die zurückgelegte Distanz zum Heimatplaneten, nämlich ein DA! für die Erde. Punktförmig.
Punkt und Trümmer immerhin konnten als Startpunkte autopoietischer Neuanfänge und Entdeckungsgeneratoren anerkannt werden. Analog dazu beweise auf der Erde jede Korrosion Frühpunkte autopoietischer Evolution, so wie sie stellvertretend beim Kriechen von Salzlake vor Augen geführt würde.
1.1.2025 17:11
Ich fülle geradezu provozierend grob nach. Vorher nochmal gesättigte Salzlake angerührt, und fülle direkt aus der Vorratsflasche ein. Ich bin etwas erschrocken über mich selbst, da sonst das Nachfüllen ganz fein, fast ritualisiert mit dünner Düse aus der Spritzflasche passiert (was nicht notwendig ist, aber so mit den Salzungs-Jahren hat sich ein eigenes Zubehör eingefunden). Anita hat photographiert. Schütten, schütten, schütten und schütten. Ich bin also über mein eigenes Ziel hinaus gegangen und war nachher höher, als gut sein konnte. Hmmh. Wenn schon hemdsärmlig, dann eben so!
Das neue Normal? Jedenfalls die akute, leichtsinnige Füllhöhe. Was wird das werden? Action filling. Was eine Erleichterung aus der meditativen Zwangsjacke ausgeschlüpft zu sein. Aber wird ein Schmetterling herauskommen? Man sieht, wie die Lake die Blumenkohldendriten aufweicht, man sieht auch, wie sie mit wuchtiger Nässe in der Kruste aufsteigt. Ein selbsttätig liefernder Lakebrunnen. Quasigeologisches …
… Ereignis. So überfluten Regenstürze Tropfsteinhöhlen und hinterlassen Spuren, auch dann, wenn sie genug Kalk angereichert haben. Im Rausch lagern sie nicht ab, zerwaschen die Kalkstrukturen. Es braucht halt beharrlich Langsamkeit. Ich bin vom Tempo meiner Gesellschaft schon zu verdorben; Kontemplation ist ein schmerzhaftes Moment im Andauern der Zeit. Das beschleunigte Ich hat Stress.
Und nun 17:15 bis 20:14 schon die Konsequenzen. Jetzt saugt er ab. Der Dochteffekt ließ sich triggern. An zwei Stellen rauschte es ab. Der Wasserspiegel sackte innen ab; außen aber hat sich ein zweiter im Auffangteller gebildet. Damit werd ich also leben müssen. Oder ich lande in einer endlosen Folge von Korrekturversuchen, in denen ich schlimmstenfalls erfolgreich perfekt Natürlichkeit …
… simuliert präsentieren würde. Dagegen mir und der Salzung zuliebe, opponiert mein Gefühl für Echtheit. Auch bin ich neugierig auf den neuen Zustand und seine Bewegungen. Woher kommen die winzigen Salzkörnchen, ähnlich dem Streusalz aus der Packung am Anfang, die auf dem Tellerboden liegen? Zwei Wasserspiegel, machen nun drei Minisken. Zwei neue Starterringe?
Wo kommt das Wasser her? Von innen. Dort ist der Wasserspiegel vom Moment des Nachfüllens an, wieder auf das zuvor niedrige Niveau gesunken. Dort liegen eben die untersten Kontakte der Salz»dochte« zur Lake. Das Wasser wird herausbefördert, solange die Dochte noch ins Wasser ragen. Dann bricht der Lakefluss ab. Nachfüllen wird nun zum taktischen Spiel. Wieviel Salzwasser steckt allein in der Salzkruste; …
… soweit darf der Spiegel steigen. Geb ich mehr, fütter ich den Teich im Teller. Den will ich aber austrocknen lassen; oder genauer, nicht die Salzung stillegen, nur eben die Flächenbildung fördern. Es bleibt an mir hängen. Ich werde nicht ganz abstinent bleiben können/wollen. Salzglas 1 Erwartungen behaupten sich trotz aller Unterschiedlichkeit. Und ich laß es zu, doch neugierig genug.
Das Glas hat nasse Füße. Etwa ein-einhalb Zentimeter Wasserschicht im Auffangteller, durch die Salzschicht geströmte gesättigte Salzlake. Links im Bild, (1.1.) einer der Dochtsog-Kanäle naß bis in den Teich hinunter. Das ist natürlich hoch aktiv und das nächste Bild zeigt die von dem Kanal ausgehende Expansion. Dendriten seitwärts. Dann aber greift machtvoll die Lake aus dem Teich ein. (3.1.) Jetzt strömt nämlich Lake nicht nur von oben her, aus der inneren Quelle, sondern auch von unten aus dem Teich in die Kristallisation ein und überzieht die bisher freie Fläche des Glases. Ein prachtvoller Pelz.
Bilder vom 3.1.2025 zeigen noch den Wasserstand im Teich, den Kontakt zum aufsteigenden Pelz, und daß die feinen Kristalle auf dem Tellerboden größer werden und sich zu einer Bodenschicht verbinden. Das linke Bild zeigt auch am Tellerrand wachsende Dendriten wie kleine Diamantenansmmlungen, naß und noch nicht schneeig. Da aber kommt was. Während ich mir bisher die Krustenausbreitung einfach, als ein Wachstum sozusagen strahlenförmig von der inneren Lakequelle in die Weite vorgestellt habe, bin ich nun belehrt, es gibt durch den Teich eine Komplikation. Er wird zum zusätzlichen Antrieb und bestimmt zusätzlich die Gestalt der Kruste. Die Bilder vom 4.1.2025 zeigen, wie der Tellerrand weiter überzogen wird, schneeige Fächer, dabei ist der Teich nun ausgetrocknet – außerdem ist eine krasse Asymmetrie entstanden zwischen der zur Kamera gerichteten Vorderseite und der Hinterseite Richtung Heizung und Fenster. Ich habe das Glas für die Aufnahme einmal um 180° gedreht. Ich habe keine Ahnung, wie diese Ungleichheit entstehen konnte, zumal es eine Tropfenspur auf dem blanken Glas gibt, die sich verloren hat. Ich bin gespannt, ob in der nächsten Zeit vielleicht eine Geländenahme von unten passiert. Ich drehe das Glas wieder zurück. Jedenfalls ist derzeit neue Dynamik im Spiel.
Ich kann’s mir nicht schön reden, der neue Überzug, über den Teller, hat was Gestörtes. Fast möcht ich sagen, Häßliches. Eine Mischung aus Kristallbildungsversuchen, plattenförmigem Bodenbelag, gebrochen, wie übereinandergeschoben, die den Rand heraufstrebende Ausblühung ist rauh durchbrochene Dendritik, da ist Aggression im Spiel, das kein Spiel ist und sein kann. Angriff ohne Lust, es ätzt. Dabei ist das blanke Wasser verschwunden. Der Teller erscheint trocken und wüst – was ziemlich genau meiner Stimmung entspricht. Ich denke an die Vexat-Ausstellung (1990, »Zwei Versalzungsanlagen«) zurück, meine Installationen brachte das Salzkriechen mit Korrosionen in Verbindung. Sozusagen Edelkorrosion, aber verweist dennoch auf die Korrosionsgefahr in komplexen technischen Systemen, wie damals der U‑Bahn am Hbf-HH. Ein Moment Angstgefühl. Sichtbare Langsamkeit. Es führt sich vor, es bleibt dadurch unter Kontrolle. Die Schaukästen mutierten in meiner Installation zu Hotcells, Sicherheitskammern. Salzglas Nr.2, diese banale Salzungsanlage stellt weißen Rost in einiger Freiheit her. Expandiert. Wird von mir angetrieben und wirkt auf mich zurück.
Stein. Ich kann das Salz als einen lebendigen Stein betrachten. Seine Geschwindigkeitsnische berührt noch so eben meine. Ich kann durch Abwarten eine Zeitlupe herstellen, die mir seine Bewegungen sinnfällig macht. Der Aufwand, mir den Zeithorizont eines Granits vorzustellen — Felsen erlebten unsern Planeten als brodelnden Tropfen — er braucht eine Phantasie wie die fortschreitender Geophysik, solche Vorstellungen realistisch zu detailieren. Wir von der Warte unserer Zeitnische her, nehmen ultralangsames nicht unmittelbar wahr. Unmerklich enthüllt der Himmel des Menschen Schuld, bäumt die Erde sich gegen ihn auf [Ijob 20,27] Ich bin derzeit in desolater Stimmung und die Strömungsbilder der meinem Glas entwachsenden Salzschicht antworten mir. Anorganische Autopoiese, spielt meiner Poesie Widerwärtiges zu. Alles unsere schwimmt auf den Aktivitäten unheimlicher Mächte denen es zugleich entstammt. Ich komm mit dem Entrosten nicht mehr nach. Aus Fugen und Winkeln schon zersetzt mein Gencode meinen Magen … Allegoresen wuchern Bedeutung in endloser Inflation, kein Statement hält Stand, grundsätzliche Haltungen erodieren, Weltmächte ätzen gegeneinander. Desorientiert verläppern sich Ströme ineinander; noch hoffe ich, daß sie nicht überall zu Blut werden.
Die Nabel der Welt werden gesetzt. Die kleine Willkür akzeptiert ein Glas aus dem Küchenschrank, den satten Liter Salzlake, das Bißchen Sorge um sein Wohlergehen, das kleine Wundern, daß diese Kriechformen sich derart freigiebig ausgeben, Überschuß ohne Überflutungsabsicht. — Daß es möglich ist! In aller Banalität. Ist, was es ist.
Ermutigt, ermächtigt auch, ein Salzwolkenring als Horizont, der sich aus Kleinklein aufstellte, ein Wald kristallener Bäumchen, jedes individuell hoffnungsvoll, jedes Herbeigesickert, nur scheinbar starr. Dies Skelett fließt. Jedes ein kleines Glück. Hier ist der Weltenhalt, so wie’s ihn überall hat. So, wie jeder ihn halten kann. Auch aushalten. In der Ebene unten angekommen macht seine Sache sich ein anderes Schön. Und wächst eben so weiter.
Wo hat man es sonst mit so eigenwilligen Schönheiten zu tun? Als Gärtner, wenn man auf das Keimen wartet und das Wachstum begleitet, jede Pflanze eigen. Eltern und ihre Sprößlinge, in aller Heftigkeit von Anfang an. Forscher in ihren Experimentalfeldern, Künstler wenn im Hinterkopf sich Ideen regen, um herauskommen zu können. Wie verständigt man sich?
Sogar mit dem Salzwasser, der Schlüssel: Symbolische Interaktion. Jede Geste hat Bedeutung. Subjektivität wird unterstellt. Man antwortet auf gleicher Ebene.
10.1.2025
Mit Salzwasser unterhält man sich, indem man den Lakefluß unterhält. Wir sind uns gegenseitig aktive Teile formgebender Umwelt. Wir spurenlesen uns gegenseitig unsere Wechselwirkungen. Ich selbst bin auch Salz. Ich esse das. Ich kenne es auch auszuwuchernd und zwar auf allen Ebenen, die ich erreichen kann. Ich bin beeinflussend beeinflußt. Eigentlich banal sowas. Doch aufregend. Es geht doch weiter. Ich deute um und um. »Was will das Salzglas mir sagen?«, ist mehr als parasozial. Materialreiz und Entgegnungsimpuls, animismusgeeignet.
12.1.2025
Wer weiß welche Strömungen diesen Blick ins Glas öffneten, in und sogar hindurch, da die Rückseite ja großflächig offenstand. Unter dem Lakeansturm aus weiteren Pfützenbildungen im Teller schloß sich das Fenster jedoch. Ich finde ein grimmig ausschließender zum Ende sänftigender Moment. Unterdessen schließt sich auch das große Fenster der Rückseite: Wunderschöne Spitzenkragen umrum.
18.1.2025
Im 3. Schritt plötzlich geglättet. Was am 15.1. noch wie schorfig zuwachsend aussah, wurde nun eine glatte matte Abdeckung.
Das zeigt, wie sehr die Kruste sich im Weiterbau ständig umbaut. Im Durchlicht erscheinen auch die knorrigen Rahmendendriten vom 15. fast krümelig separiert, zarter, und es gibt viel Körnchenstreu. Der Abdeckung merkt man an, daß sie mal glatter Feuchtefilm war. Aber muß vorher doch ein krude ins Fenster drängender Wust gewesen sein.
Die Bewegungen, die das Rückseitenfenster schließen, aber sind zarte Spitze.
Angekommen? Die Salzlake ist mit ihrer Kruste unten. Noch gieße ich nach. Aber bald wird die Kruste den schwarzen Teller erreichen und übergreifen. Neue Schritte würden neue Entscheidungen brauchen. Was kommt jenseits des Schwarzen Tellers? Eine Glasfäche, wie beim Standardglas Nr.1? Lege ich Wert auf Transportfähigkeit? Soll, mindestens, sich die Oberfläche der Tellerkruste noch komplexer ausprägen? Ich fange an, mir einen Übergang zum Danach vorzustellen — vielleicht werde ich bald endgültig aufhören nachzugießen. Ich hatte ja schon mal so eine Phase. Der sinkende Salzwasserspiegel wird wahrscheinlich die Innenseite des Glases mit einem letzten Überzug versehen, bevor er ganz ausgetrocknet sein wird. Aber ist das möglich, daß Salz, hygroskopisch wie es ist, je austrocknet? Bleibt es immer mindestens unterschwellig aktiv? Mal sehn!
Also, so werde ich voraussichtlich aussteigen: Ich werde noch nachfüllen, solange Lake in der Vorratsflasche ist. Das ist nicht mehr viel. Danach trocknet das Glas, die Kruste, die Kriechbewegung trocknet aus. Das Glas wird als Relikt aufgehoben; restartfähig. Wie zu verpacken und wie gegebenenfalls zu transportieren wären noch zu entwickeln meinerseits. Das Glas Nr.2 wird Standardbeispiel. Ein Grund dafür, mit dem Unterhalt aufzuhören ist ein neues Projekt, die »Initiative erster Dahlenburger Kristallgarten«, wo es öfters vorgezeigt werden soll. Hier auf dieser Site wird es noch einiges an Doku geben und sicher einige schöne Aufnahmen zum Abschied. Aber nicht vergessen, auch das Salzglas ist arte povera, ein nüchtern banaler Gegenstand im Gesamt unserer Wohnung und per un’arte sociale dienlich verwendbar.