Nachtfahrten
Unendlich viele Abstände machen die Zwischenraumsee

Ironie braucht und beinhaltet unterschiedliche Distanzierungen, die man wiederum witzig/ernst und ironisch/naiv nehmen kann.
Ich neige zum ironischen Ernst, eine Naivität zweiten … höheren Grades.
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Konstrukt, Gelee, Fluid — worauf die Nachtfahrenden reiten, dunkle, glückliche Flüge —
[oder Peyton Farquhars Surf am Owl Creek].
Rituale sollen
bedeutungsfrei Möglichkeitsangst.
24.11.1982 15h & 24.10.1987 19h
Meine Biographie als Freiraum.
Lose in die Nacht eingelagerte Indizien. Lose heißt, lockere Beziehungen, heißt situativ und spontan zu knüpfen und zu regeln, heißt, im Prinzip lassen sich endlos viele finden und verlieren …
Es fällt auf, wo ich nun das Material zur Installperformance »Nachtfahrten« sichte, daß die Dingkerne, Indizien, die Trittsteine der Biographie kaum auffallen. Unscheinbar entziehen sie sich der Aufmerksamkeit. Die Gegenstands- und Aktionscluster überfluten, Wellen laufen über Deck, schon jenseits der Ikone, dabei dem Iconfeld verhaftet.
Die aus meiner Biographie geklaubten Dinge (samt Schlag):
- ein weißes Saba-Kofferradio (Blickblind’s Flugzeug)
- Weihnachtskugeln (Freileitung)
- ein Stuhl aus dem »Jugendhaus Wiedenbrück« (Tunnelbrücke)
- am Atlantik gefundenes Treibgut (Haus der Nacht, Areal »Windrose«)
- eine Mondkarte, mit Mikroskop, Trangia-Brenner, Wanderkompaß, Finnlandkarte (Kompaßring, Radarlote)
In Klammern die Schläge, die Zugehörigkeiten, die sich an die Lebensindizien angelagert haben. Symbolkristalle, Zwischenraum-Generatoren, Funktoren; ich agiere mit verbundenen Augen.
Nachher: Hier unter der Tunnelbrücke klar erkennbar, die Querungsanzeiger (in den Rosetten) sind verstellt, glücklicherweise erst nach der Performance. Dennoch ergibt sich eine Störung der Installation (wie gut, daß diese störungsunempfindlich, naja mmh). Es geht um die Ausrichtung der Vektorendreiecke gemäß der inliegenden Vogel/Wellen-Skalen. Die wurden nach speziellen Kompanden sorgfältig nach Skala eingestellt, so daß die »Vogelwellen« längs genau auf die Blickblindruten zu liegen kommen, und die Dreiecke sich in einen leichten Seegang (rollend, gierend, nickend) eingemessen wiederfinden konnten. Die Störung betrifft sowohl die Lage, (s. die »Radarlote«), als auch den Kurs bezüglich des Seewegshauptstroms (Blindblickruten). Man wollte wohl nachvollziehen, wie dieser »Biograph seiner selbst« eigenhändig Ausrichtungen vornimmt. Dazu bedarf es aber der Sachkenntnis.

Anderseits, ich möchte, auch wegen der vielen, etliche Male wiederholten Handlungen, auch, weil die Gesamtanlage, wegen der Komplexität ihrer Details nicht auf einen Blick erfaßt werden kann, auch weil mein Gang durch die Installation ein Gang in ein offenes Innen ist, und die Leute entsprechend draußen hält, daß sie zwar meinen Handlungen folgen, aber auch umhergehen und das je Gegebene genauer inspizieren, oder einfach bei sich bleibend, gedankenverloren innehalten. Was hat das alles womit zu tun?
Unten: In den Klammern die roten Nummern beziehen sich (001 – 106) auf die sw-Photos der Performance 1983. Ich richte noch eine Seite mit den Photos der Uraufführung in der Kunstakademie 1982 ein. Dann, für eine vergleichende Betrachtung, mach ich auch eine Doppelnummerierung.
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Zur Vorbereitung jeden Durchganges gehört es, daß ich mich reinige und meine Haut mit schwarzer Farbe einreibe. Nur die Hände, die Füße und der Kopf bleiben frei, also die Körperteile, die im Allag unbekleidet bleiben. Ich ziehe meine gewohnte Alltagskleidung an.
Die Installation ist in ihrer verkapselten Form aufgebaut, durchgehend schwarze Anmutung. Gebrauchsmaterialien liegen bereit, auf schlichtem Packpapier sind die Biographiezitate ihren Schlägen (Knoten, Nischen) zugeordnet.
Vom gleichen Schlag heißt es. Teile versammeln sich auf einem Flecken und bilden wie auch immer geartete Zugehörigkeiten. Einen gewissen Schlag. Inseln, Schläge im Feld. Keimfähig, vorübergehend, wandelbar, Nachtschlag.
Ich betrete den Raum, bin schon dort, sondere mich endlich und ziehe mich aus. (001−003) Wenn nackt, bekleide ich mich mit einem weißen Overall (solchen Overall übernahm ich von einem Bauern in dessen Ställen sie getragen werden. Bestimmte Zuchten werden besonders hygienisch und isoliert gehalten, die Kleidung oft gewechselt). Außerdem verhülle ich mit schwarzen Tüchern die Füße, die Hände mit schwarzen Handschuhen und den Kopf, ich verbinde die Augen, mit wechselnden Attributen (liegen, wo sie gebraucht werden), undurchsichtige Brille, Schleier aus schwarzer Spitze, u.a. – tatsächlich vollziehe ich die gesamte Performance blind.
Ich bin immerhin soweit orientiert, daß ich die einzelnen Inseln aus Übergangsobjekten finden und auch Pfade legen kann.
Die erste Insel auf meinem Rundkurs besteht aus einem Kasten mit losem Deckel, einem Stuhl weiß bemalt nach Art von Blindenstöcken und einigen schwarzen runden Eisenstäben. Die Stäbe liegen nebeneinander. Der Kasten steht auf den Eisenstäben, der Stuhl auf dem Kasten. Daneben liegt die Besenantenne, ein Strohbesen mit extralangem Stil, oben am andern Ende ist eine Fernseh-Dachantenne montiert; und es hat hier ein weißes Saba-Kofferadio. Auf dem Packpapier liegt das Besenende der Antenne und steht das Radio.
Ich habe die schwarze Brille auf. Ich taste, nehme das Radio, steige auf den Stuhl, (004−009) setze mich auf dessen Lehne und suche eine unklare Stelle, ein dynamisches Rauschen zwischen den Sendern. Das bleibt laut während der gesamten Performance. — Ich hole die Antenne dazu. Ich stehe, das Radio zwischen den Füßen, aufrecht, senkrecht die Antenne, ich drehe sie, der Besen fegt, die Antenne streicht durch Fernkontakte. Auch ich drehe mich und nehme das Radio zwischen den Füßen mit. Ich steige aus der riskanten Höhe, dem schmalen Stand, wieder herunter. Somit beginnt die Öffnung. Die Stäbe braucht es als Rollen. Den Stuhl, an der Lehne gepackt, und nach unten-vorn gedrückt, kann ich mit Kraft die ganze Kiste vorwärts schieben über die Rollen von den Rollen. Sie setzt satt auf, die schwarzen Stäbe liegen frei. Ich knie vor der Kiste und schiebe den Deckel, der nur lose aufliegt, nach hinten weg, mitsamt dem Stuhl. Nun liegt der Deckel auf den Rollen. Der Kasten zeigt sein komplexes Innenleben.
Auf der Oberkante aus weißem Filz glitt der mattschwarze Deckel nach hinten weg und liegt nun auf den Metallrollen. Sichtbar werden weiß umnähte Kanten schwarzen Tuches, die ein diagonales Kreuz bilden. Es handelt sich um eine weitere Abdeckung. Das sind vier Dreiecke, die Grundlinien an den Seiten des Kastens befestigt, wobei die Spitzen sich in dessen Mitte treffen. Ich nehme die Spitze des vorderen Dreiecks auf und ziehe sie nach außen. Es wird ein Spiegel sichtbar, während die weißen Kanten nun das Bild eines Hauses zeichnen. Ein Nik-o-laus-haus (Kinderspiel/Graphentheorie/Haus ohne Wände). Das verschwindet sogleich wieder, da ich auch die anderen Dreiecke nach außen ziehe. Ein neues Rechteck (90° ⭮) erweitert das Rechteck des Kastengrundrisses, aber ist weich, Falten, tuchern. Der Spiegel liegt nun frei.
Man sieht vierundzwanzig schwarze Murmeln, vier in spezieller Anordnung, man sieht einen schwarzen in den Spiegel gekratzten Grundriß: dessen Innenkanten werden von stilisierten Schiffchen befahren. deren Masten halten/fangen vier schwarze Glaskugeln, Nachtgranulat für Positionslaternen.
Was heißt hier; »fangen«? Ich muß auf die Konstruktion der Spiegelfläche eingehen. Zugrunde liegt ein einfacher Glasspiegel. Glasspiegel haben eine spiegelnd bedampfte Rückseite und eine polierte Vorderseite. Daher sind sie nicht fähig, ein klares Bild zu geben. Immer gibt es eine Doppelspiegelung, als hätte man ein leicht verwackeltes Photo vor sich, denn vor dem starken Spiegelbild gibt es noch überlagernd das, welches die Vorderseite leicht versetzt erzeugt. Man kann sogar noch Spiegelbilder vermuten, die von Spiegelvorgängen innerhalb der Glasscheibe herrühren könnten.
Diese Effekte verstärkt im Kasten eine auf den Spiegel gelegte dicke Scheibe aus Acrylglas, dessen Oberfläche deutlich über der bedampften Rückseite des Glasspiegels liegt. Eine Murmel, die darüber läuft, führt daher optisch deutlich ihr Spiegelbild mit sich. Wenn man in die Rückseite des Spiegels, in die aufgedampfte Schicht eine Zeichnung, hier ein Grundriß und eine Art Windrose, hineinkratzt, dann ist sie den Spiegelspielen weitgehend entzogen, und schwebt mit einiger Klarheit zwischen der gespiegelten und der realen Welt.
Es ergibt sich die Möglichkeit für einen räumlich geschichteten Aufbau. Die Zeichnung der vier Schiffchen befindet sich auf der Oberfläche der Acrylplatte und spiegelt sich, sich verdoppelnd; ebenso die schwarzen Kugeln, die dort umher rollen. Vor den Masten gibt es, unauffällig, Senkbohrungen, in denen sich einzelne Murmeln fangen können, die aber nicht tief genug sind, die Murmel endgültig zu halten. Man denke vielleicht an ein Geduldspiel mit Kügelchen, die in kleine Versenkungen zu bringen sind. Nur hat es hier keine Kügelchen, sondern diese schwarzen Kugeln, eingefangen als Scheinlaternen in der Nacht dahingleitender positionsfarbener Schiffe. Rot, Grün, Blau, Schwarz – Backbord, Steuerbord, das Wasser, die Nacht.
Mit Rot, Grün, Blau und Schwarz sind die bestimmenden Farben der Installation genannt. Weiß kommt noch dazu, endlich noch Gelb. so will ich auch noch eine Form nennen, die Vogelwelle, den Wellenvogel. Man kennt diese Form aus den Bildern von Kindern, die Vögel »M«-förmig in den weißen Himmel gezeichnet. Dreht man die um, verwandelt sich »M« in »W«. So eben auch die etwas geschickter stilisierte Vogelwellenform. Im Kasten hat sie zum einen die Farbe Gelb, zum andern ist sie Schwarz. Der weiße Stuhl trägt veränderte Blindenabzeichen, in denen die schwarzen Punkte durch Vogelwellen ersetzt sind. Die Murmeln tragen gelbe Vogelwellen. Wenn sie rollen, erscheinen diese sowohl im Spiegelbild, als auch auf der realen Kugel. Es ergibt sich ein irritierendes iterierendes Bewegungsmuster, mal im Spiegel, mal auf der realen Kugel sichtbar.
Die Kugeln laufen frei über die Spiegelfläche, werden an den Seiten von der inneren Bespannung des Kastens auf der Fläche gehalten und laufen weiter, perturbiert vom Antennenbesen, den ich drehe, mit dem ich fege — ich bin inzwischen in den Kasten gestiegen (010−016), meine Füße, lose in Lappen, ich denke an die flackernden Begegnungen gespiegelter und realer Vogelwellen, das Gefühl hier etwas scheuchen zu können, wer weiß was. Soeben habe ich mit den Kugeln Murmel gespielt, dann in kindlicher Identifikation selber wollte ich rollen, irritieren, nächtlichen. So rühre ich, millimeter nur entfernt von meinem (Kann man bei Fuß über Fuß, nach unten, »gegen-über«, sagen?) senkrechten Gegenstück, über meiner Spiegelbildfortsetzung. Wir beide drehen, rühren, scheuchen über diesem leeren Abstand, über ungerührter Trennzone. [Dort hinein geht die Reise!]
Ich habe während der Aktion an nichts gedacht. Ich habe den Deckel genommen und, indem er sich in eine schwarze Tafel verwandelte, vor der Freileitung abgelegt. Dann bin ich zurückgekommen und habe die Stäbe als Nachtruten zu Orientierungslinien ausgelegt, Blickblind-Marken, die ich später würde mit den Füßen tasten können. Die Pfade zu legen hat etwas gedauert. Zwei mal mußte ich die Fußlappen dicht ziehen. Einmal verlor ich die Orientierung.
Ich bin noch einmal zur ersten Insel zurückgegangen. Die undurchsichtige Brille auf den Stuhl gelegt und den Stuhl auf den Grundriß im Spiegel gestellt. Der Grundriß paßt exakt unter die verzogen unegalen Stuhlbeine. Im Spiegelbild sah man den Stuhl, wie ein Gebäude, eine Art Kuppelbau, aufragen, in die Tiefe, Höhe. Unter der Sitzfläche ist der Stuhl schwarz angestrichen, ein Himmel über den Arkaden.
Jetzt endlich vor der Freileitung:
Ich hatte mir sagen lassen, daß der Transport von Energie nicht eigentlich durch jene Überland‑, Fern‑, Freileitungen führe, zumal bei Wechselstrom die Elektronen nur hin und her ruckelten, gleichsam. Weil, tatsächlich wird die Energie mittels der elektromagnetischen Felder außenherum transportiert.
Die Metapher vom Fließen, Fluß, Strom von Elektronen ist immer noch so mächtig, daß auch (oder wieder) noch heute, kaum ein Eingehen auf solchen Gedankengang, nicht einmal im Internet, zu finden ist. Reicht doch auch die Vorstellung eines Bachlaufes, sozusagen Grundwasserbewegung durch eine kieselige, sandige, überhaupt körnige Stuktur zur Manipulation von elektrischer Energie hin.
Während zugleich Induktion berührungslos zur Wärmeerzeugung und Energieübertragung und sogar als Wortfeld (um gänzlich dem Unsinn anheim zu fallen) genutzt wird. Induktion verbindet vom Bedeuten her Energieübertragung, Nachrichtenübertragung und Übertrag vom Besonderen auf’s Allgemeine, und ist noch lang nicht ausgereizt, ist dennoch auch bloß Zwischenschritt neuer Metaphernbildung.
Sender, Empfänger. Sender, Medium, Empfänger. Wenn aber, statt der suggerierten Eindimensionalität, dem linearen Fluß von Information, es um ganze Schwingungssysteme ging, von Landschaften, von weit ausholenden Topographien, die in Modi von Quelle, Senke, Wirbel, der Durchdringung, der Interferenz, der Vieldimensionalität, die interagierten, und zwar wie?
Ich war nie ein Anhänger von Sender – Empfänger Modellen. Nie. Schon deshalb nicht, weil ich ständig in der Qual lebte, die Topographien in meinem Kopf über zu leiten linear in fortlaufende Rede — ich redete daher so viel, so gründlich, so ermüdend, so unverständlich, so Abwehr erzeugend, so unvollständig, so desorientiert, so, so kommt das doch nicht über, was ich da innerlich vor Augen und im Gespür habe, so hilflos. Es war gut, allein, spazierend im Stadtholz, …, zeichnend über einem großen Blatt strichelnd, … mich meinen Phantasien (so nannte ich’s) zu überlassen. Nicht, daß ich etwa meinte, eine Zeichnung z.B. wäre die Alternative. Vielleicht der Vollzug, oder mehr, die Erfindung als Abflug in umnachtete Fahrten, deren Gerüst sich sogar akademisch zeigen ließe? Ich glaub nicht. Ich bin auch nicht sicher, nein, bin, daß es auch um Verstehen nicht geht.
Die Insel Freileitung. Ihre Art kompakt und verschlossen zu sein, gab sich nicht in Form komprimierter Opazität, wie jene Insel eins. (017 – 034) Die Freileitung hatte zwei stilisierte Strommasten oder Telegraphenstangen, zwischen denen zwei Zentimeter breite schwarze Bänder hingen. Zweimal die typische Seilkurve (cosinus hyperbolicus, cosh, Minimum potentieller Energie), sprich, »schlaff«. Die Stangen standen einige Meter auseinander und hatten oben Querstangen, welche die Bänder hielten. Die ganze Konstruktion also war durchsichtig, weitschweifig und lose. Sie konnte aber dauern und wartete. Und in dem lag ihre Verschlossenheit.
Davor hatte ich eine große, sehr schwere, dunkle Tonschale in Form einer Vogelwelle deponiert. Sehr irden und mit Sand gefüllt. Der Sand jedoch war gefärbt, der eine Flügel hatte roten, der andere Flügel grünen Sand. Außerdem gab es auf schlichtem Packpapier abgelegt, drei Weihnachtskugeln (selbst gebastelt aus spitzen Goldpapiertütchen) und zwei Edelrosen, dunkelrot, entsprechend zwei Kristallglasvasen. Auch und mit etwas Risiko standen da zwei Zylindergläser, das eine mit schwarzem Lack befüllt, das andere mit reiner Schwefelsäure. In diese Anordnung, Freileitung und Zubehör, hatte ich die Tafel von der ersten Insel her überführt.
Ich war inzwischen (mir den Schleier nehmen, der bereit lag, meinen Kopf verhüllen, die Brille abnehmen, das Spitzentuch so dicht, daß ich egal nichts sehen konnte, die Brille auf dem weißen Stuhl deponiert und wieder zurück zu den Leitungen) also vor der Tafel inzwischen: hob ich die schwere Schale und stellte sie mittig obenauf. Ich nahm weiße Kreide und zeichnete um die Schale herum exakt den weißen Umriß Vogelwelle. Stellte die Schale wieder zur Seite. Nahm blaue, dann grüne, dann rote Kreide und improvisierte in heftigen Gesten expressiv Vogelwelliges, ein Kritzeln, daß es die Lust war, Schwünge, schweifiger Zeichenflug, Rot, Steuer- und, Grün, Backbord und weite See Blau — auf matt Schwarz. Immer wieder. Das dauerte. Selbst ermattet dann, hob ich mich, hob ich die Tafel, die Zeichnung, die Nacht und legte sie auf die Bänder, in die cosh-Kurve, diese straffend (von den Tafelkanten zu den Stangen und unter der Tafel durchlaufend drei Geraden, Strecken jetzt) und sie schaukelte leise, schaukelte aus. Querbewegung, in die nun folgendes einging.
Ich nahm die Vogelwellenschale zu mir, vor meine Knie. Ich fuhr mit den Händen in den Sand, mit dem sie gefüllt war. Unter die Dünen, genüßlich von unten, drehte die Hände. Hände voll Sand warf ich über die Tafel, ein Sturm. Ich warf und warf, achtete der Farben nicht, nicht des Orientierungsgemenges, nicht der Form, aus der ich den Sand freisetzte – die Tafel indes schaukelte nicht mehr, sondern senkte, neigte sich als ein Sandpult, mir zu. Sand rutschte, neues Bild.
Es blieb nicht mehr viel zu tun. Ich stellte beiderseits zwei Vasen auf, tauchte die eine Rose mit dem Kopf voran in die schwarze Farbe, die andere mit dem Kopf voran in die Schwefelsäure. Die beiden mit ihren nun hängenden schwarzen Köpfen in die Vasen gepflanzt, so also. Und die Weihnachtskugeln-selbstgebastelt legte ich in den Sand, so vom Pult geglitten. Ende hier.
Wie kam ich zur nächsten Insel? Gab es nicht immer Teile, Gegenstände, welche die Fähre machten, oder reicht die einfache Sehnsucht, »zum nächsten …«?
Hier hält mich, noch dieses zu sagen, daß ich nämlich anhand der Photoserien, die ich einscanne, erkenne, daß es Unterschiede zwischen den Auftritten gab. Die in der Akademie und die im Kreativhaus unterschieden sich in etlichen Details. Hier hat sich die Pultform ergeben (Akademie) dort nicht (Kreativhaus), hier habe ich die Rosen liegen lasssen, dort auf das schwebende Brett gestellt, usw.
Sogar dieser Text hier auf dieser Seite – er rekonstruiert aus der Erinnerung – hat keine Garantie auf Richtigkeit. Leicht wird man Abweichungen entdecken.
Tatsächlich beruhigt mich das. Ich bleibe bei aller Ritualität den Kaskaden und dem Situativen verhaftet. Zudem schreib ich tatsächlich unvermittelt ins Internet (Versionsgeschichte).
So wie die Basisdinge situationsgeboren zu mir kamen, so variiert sich die Performance durch die kleinen Veränderungen nach und nach auf stärkere, deutlichere Verwandlungen hin. Kleinschrittig kumuliert allmählich, so daß nur im Rückblick der große Übergang oder Sprung erkennbar wird. Ja, Rückblick, sogar meine künstlerische Entwicklung insgesamt, wenn ich von zwanzig-dreiundzwanzig aus schaue — Übergang klingt nach Kontinuität, was aber Diskrepanz war: Blickt man nach vorn, haben Brüche das sagen.
In solch Übergangserfahrung (035 – 052), nach vorn/zurück, paßt die nächste Insel. »Tunnelbrücke«! Keine Objektgruppe der Nachtfahrten ist nicht komplex, ist nicht brüchige Schwankungsweite. Hier hat es eine Brückenkonstruktion, die auf halbem Weg stilisiert einen Durchgang, Tunnel, Berg trägt, einen Berg, der nach oben geöffnet unterschiedliche Abdeckungen aufnehmen kann. Ich denke da eher an Herdplatten, austauschbar, wie sie dem Feuer begegnen. Also ist der Berg ein Herd, vulkanisch, jedoch hohl, leer, hungrig, das Feuer kommt noch. Ein Vulkan, in dem kein Feuer brennt, sondern dem ein Feuer, voll entfacht einfährt, einige Zeit sich aufhält, und dann weiterreist. So ist der Berg, der Herd, auch ein Bahnhof. Die Brücke also wäre, ja, ist eine Eisenbahnbrücke. Es führen wirklich zwei Gleise hinüber. Von wo nach wo?
Von den möglichen Ufern fehlt das hiesige. Die Brücke begegnet mir als schiefe Ebene, abschüssig, ihr anderes Ende gegenüber liegt auf der Lehne eines Stuhls. Und der steht auf einem Blatt Packpapier. Der Stuhl ein Erinnerungsstück. Den Reisenden virtueller Biographien, mich, schickt das zurück zu dem weißen Stuhl auf dem Spiegel des Blinden. Ich hole ihn, nutze, daß die Längsstreben der Brücke an den Enden mit Band umwickelt sind, griffig, ich fasse an, hebe dieses Ende in die Waagerechte, stelle den weißen Stuhl mit der Lehne darunter, und lege ab – und sage nun, daß auf der anderen Seite der schwarzen Brücke ein Schiff aufgegleist ist und wartet.
Das Schiff und sein Turm. Das Schiff und seine Glutgrube. Das Schiff und seine kardanische Aufhängung. Das Schiff mit Steuerbord (rot) und Backbord (grün). Das Feuerschiff, dem ich seinen Brenner hole. Eine Flasche Spiritus ist unter der Brücke, ich fülle den Brenner. Ich nehme mir auch den Fidibus und entzünde ihn an der Glut-auf-der-das-Schiff-hockt.
Am andern Ende der Brücke hängt nämlich ein Kasten mit glühenden Kohlen. (Es braucht besonderer Absprachen, daß solch in Gebäuden zugelassen wird.) Der Kasten aus solidem Eisen ist kardanisch aufgehängt, daß er dem Auf- & Ab der Tunnelbrücke nicht nachgibt und kippt. Das hält auch das Gleisende waagerecht, auf dem das Schiff wartet. Es soll eben nicht die schiefe Bahn hinunter, sondern stillhalten auf seinem Platz über der Glut. Der Brenner faucht.
Ich steckte also meinen Span in die Kohlen, bis er brannte, und entzündete den Spiritus. Das leise Fauchen zeigte, die fast unsichtbare Flamme war an, der Brenner funktionierte (verläßlicher Sturmkocher übrigens von meinen Reisen). Jedoch rußt die Flamme stark.
Ich schiebe das Feuerschiff in den Tunnel. Hier im Dunkel leuchten die Flammen. Der Tunnel ist mit einer Glasscheibe gedeckt. Von unten schlagen die Flammen dagegen und schwärzen das Glas. Eine Rußschicht entsteht, mithin verwandelt es sich in einen schwarzen Spiegel. Das Schiff fährt wieder über die Grube. Die Glasplatte kühlt ab. Überhaupt, mit dem Feuer, ständig ist da Gefahr, daß ich mir die Finger verbrenne. Jetzt aber zieh ich die Handschuhe aus.
Ich fahre mit beiden Händen von beiden Seiten in den Tunnel, beruße mir die Fingerspitzen und zeichne damit mein Gesicht nach. Auf der Haut und im schwarzen Spiegel. Mit einer Art negativer Hinterglasmalerei, nimmt dort jeder Fingerstreich Ruß weg und hinterläßt eine transparente Spur. Um die Brille, um die Augen, die Nase, um die Lippen, die Stirn, … Wo ich schwarz werde, da wird die Glasscheibe hell, am Ende eine inverse Maske. Die Umrisse transparent, die Öffnungen, besonders die Augen, schwarz. Für kurze Zeit lege ich die Maskenzeichnung auf dem weißen Stuhl ab.
Das Feuerschiff fährt wieder in den Berg ein. Einen Moment lang schlagen die Flammen oben heraus. Aber schnell nimmt eine Kupferschale ihren Platz. Auf der Schale liegen zwei weiße aus Transparentpapier gefaltete Schiffchen, wie Kinder sie falten. Weiße Schiffchen. Weiße Schiffchen, auf einer Platte, die massiv befeuert immer heißer wird. Werden sie irgendwann brennen? Bald riecht es angesengt, die Schiffchen werden braun. Ich wende mich ab. Ich überlasse sie ihrem Schicksal.
Der Spiritus wird nicht mehr gebraucht, die Maskenzeichung nur als Übertrag. Also bringe ich beides hinüber zur großen auf Packpapier deponierten Mondkarte. Ich stelle die Flasche ab, und lehne die Zeichnung schräg daran.
Die Mondkarte, nach der Ordnung der Inseln wäre sie noch nicht dran. Eigentlich Übernächste. Aber tatsächlich ist das kommende Ensemble eine Doppelinsel. Die Verhältnisse steigern noch einmal ihre Komplexität. Mir wird schon ganz anders vonwegen der Anforderung, das zu beschreiben.
Jedenfalls gehe ich für die beiden nächsten Übergänge erst zum, »Haus der Nacht bzw. Areal Windrose«; dann zum, »Kompaßring bzw. den Radarloten«. —
Mattschwarz (053 – 069) mit Tafelfarbe gestrichen, und es liegt weiße Kreide bereit: Ein kreisrundes (Ø cm 200) schwarzes Grundstück, auf dem ein Haus steht, Modell, »Haus-vom-Nikolaus«, eine Zeichnung aus Eisen, Vierkantrohre (cm 4×2), zwei Räder aus Holz (cm 10), Reifen aus weißem Schaumstoff, schmal … insgesamt das Haus aber schwarz, unten matt tafelfarben, nach oben hin in breitem Übergang hoch glänzend … … Ich fang noch mal an:
Die Zeichnung aus Eisen ist etwa 250 cm hoch, 100 cm breit und 2cm tief, wenn man das Fahrgestell nicht beachtet. Das Fahrgestell an dem einen, äußeren senkrechten Standbein bringt, quer angeschweißt, etwa 40 cm Tiefe. Das Standbein am andern Ende hat unten eine Metallspitze. Die ganze Konstruktion ist dazu da, das schwarze Grundstück überstreichend wie ein Zirkel im Kreis zu fahren. Das Haus steht auf dem Radius. Die Spitze hält innen den Punkt, die beiden Räder außen, fahren nah am Rand. Die erste, waagerechte Strebe ist so hoch über dem Boden angesetzt, daß es möglich sein wird, sie über mich hinwegfahren zu lassen. Denn das ist Teil des Plans, daß das Haus nicht nur über die Kreisfläche, sondern auch über mich hinweg fahren wird, knapp. Über dieser Strebe baut optisch proportional richtig das Nikolaushaus-Schema auf.
Diese Insel hat einen dicken sandigen Strick und ein bleiches Holzstück, die nebenbei auf Packpapier abgelegt sind. Ich werde, wenn ich ankomme, beides mit auf das Grundstück nehmen und am inneren Standbein befestigen. Danach lasse ich mich auf alle viere runter.
Das Nikolaushaus Schema ist ein beliebtes Rätsel, wie man es nämlich in einem Zuge zeichnen kann. Es gibt vierundvierzig Lösungen. Von denen ich die benötige, die unten rechts enden. Dann ist es möglich, gleich weiter zu zeichnen und ein nächstes Haus anzuhängen und wieder ein nächstes und so weiter. Am flüssigsten geht das, wenn der Strich aus der Diagonale ankommt, oder waagerecht mit dem Bodenzug.
Während das Schema eisern über dem schwarzen Kreis aufragt, werde ich beginnen so eine Häuserreihe zu zeichnen. Indem ich das eiserne Haus wie einen Zirkel nutze (es liegt weiße Kreide unter dem Fahrgestell bereit) ziehe ich in einer ununterbrochenen Linie eine Serie, eine Front von Nikolaushäusern, mit den spitzen Dächern nach außen am Rand des Grundstückes entlang um mich herum. Als die Reihe sich schließt, krümme ich mich um das innere Standbein und drehe das Haus mehrere Male über und um mich herum. Eingeschlossen, nach innen ausgeschlossen, selbstgezeichnet nach üblichem Schema, fortgesetzt Kinderspiel, die Bewegung selbstbezüglich, blind, am Boden geborgen — komm da nicht mehr raus. Kann nicht, will nicht, kann nicht.
Einen Moment lang entspanne ich.
Ich fang an zu knibbeln. Da wo die Spitze des Zirkels in die Bodenfläche einsticht, hat es ein Loch, wo ich mit dem Finger hinein kann. Wo ich ein bißchen einreißen kann. Was sich erweitern läßt. Weiterreißen.
Ich liege auf Papier. Das Papier hat einen Unterbau, es geht noch tiefer in das Loch hinein.
Der Unterbau wird mit jedem Aufpuhlen, Knibbbeln, Abreißen deutlicher sichtbar. Nachher schiebe ich in großen Fetzen die schwarze Papierschicht nach außen weg. Und soetwas wie ein Zirkuszelt erscheint, jedenfalls in farbigen Spalten kommen … Dreiecke zum Vorschein. Genau zwölf Dreiecke.
»bzw.«, beziehungsweise, Haus der Nacht, bzw. eine Hafenrosette, bzw. eine Windrose, bzw.: findet man die von mir, von Wind und Seefahrt auf Routen verteilt und verstreut. Gutes Wetter bei leichter Dünung. Am Strand entdeckt man die Debris des letzten Sturmes der letzten Nacht.
Immer ist »Haus der Nacht« auch die Nacht als Haus. Ein Hausen, ein Brausen, ein Heim, ein Ver-&Ge-borgensein für die Dynastien des Chaos. Die Genauigkeit im Tentakeln des Prometeus —
Zeigt sich streng. [Übrigens plane ich eine Extraseite mit den Entwürfen und Maßen und Materialien zu den »Nachtfahrten«, vielleicht mal zum Nachbau.] Er hat Gesellschaftsordnungen erfunden. Aus dem Nichts.
— zeigt sich, nachdem die schwarze Abdeckung weggefetzt wurde, als Zwölfeck roter, grüner und blauer Dreiecke im Wechsel. Ein rotes, daneben ein grünes, daneben ein blaues; rot und grün machen, von der Positionsbeleuchtung her, je ein Schiff, zwischen beiden das Dreieck in Blau, wäre sozusagen ein Wasserding, ein Abstand-Ding welches genau anders als das Schiff sich in Fahrtrichtung rechts rot und links grün flankiert zeigt.
Ich weiß, dafür sind die weißen Positionslampen da, damit man im Dunkeln zwischen Schiff und Nicht-Schiff unterscheiden kann. Wenn in der Nacht der Schiffskörper in der Dunkelheit versunken unsichtbar fährt, in Fahrtrichtung nur sein Steuer- und Backbord markiert hat, und es hat mehrere solcher Schiffe gar in Reihe, dann ergibt sich ein Lichtmuster
–r‑g–r‑g–r‑g–r‑g–
wenn man hinterher fährt. Kommt man entgegen, sieht es so aus:
–g‑r–g‑r–g‑r–g‑r–
die Seiten sind logischer Weise vertauscht. Will man die Reihe passieren, überholen oder begegnend durch, man weiß aber nicht, kommen sie oder gehen sie, diese Schiffe, dann Risiko. Man könnte sich am Abstand orientieren, wo breit (–) da also hindurch. Aber wenn es sehr breite Schiffe oder sehr schmale Seitabstände gibt, dann kollidiert man möglicherweise.
Ich war mit solchen Überlegungen wie in einem Halbschlaf immer wieder zugange. Ich sah die Dreiecke als Schiffahrtskörper im Hafen friedlich nebeneinander, gesonderte Farben, fest auf ihren Plätzen festgebunden, auch das Wasser-Dreieck, und dann drehte sich mir das Zwölfeck im Kopfe um, spiegelte sich auf diese Weise, schon hatten sich die Positionen fatal vertauscht, es gab Fahrtrichtungsänderung, wo keine Fahrt war, Wasser hatte Positonslaternen, und dann all solch unter den Bedingungen schwärzester Finsternis …
Tatsächlich hatte ich zunächst vor, die für den Unterbau zuzusägenden Platten (Spanplatten) auf beiden Seiten gleich zu bemalen, wodurch sich der Spiegelungseffekt ergab. Auf der andern Seite unten, vertauschten sich die Positionsmarkierungen. Beides zugleich zu haben, in derselben Anordung stresste mich einerseits, anderseits, genau! Gute Verschränkung. Ich hatte vor, die Dreiecke über ihre Basis im Zuge der Performance umzuschlagen. Sie würden also wie ein Stern, Spitzen auswärts, also Fahrtrichtung, also Fahrt nach außen aufnehmen und zwar unter Veröffentlichung ihrer Unterseiten. Verschränkung plus Dynamik. Ich machte mich daran, die Unterseiten entsprechend komplexer zu entwerfen.
Entfaltungsmöglichkeiten zubereiten und auftafeln.
Das Rot. Das Grün. Das Blau. Die Kennzeichen der Lichterführung hatte ich bisher substanziiert. (Auch das Weiß, das Schwarz, das Durchsichtige; was einen eigenen Kommentar bräuchte.) Alle als je eigen verselbständigt. Was gewöhnlich sozusagen zur Kennzeichnung auf der Bordwand sitzt, fuhr nun als eigenes Boot und war frei für freie Assoziationen, grün grün blau rot blau rot … im Prinzip also auch die Bedeutungen. Das Links. Das Rechts. Das Zwischen. Das Orientierungsmuster löste sich auf und ergab sich einem unordentlichen Symbolismus. Zwei mal Steuerbord konnte mit sich selbst zusammenstoßen, das Wasser mit dem Wasser. Das Wasserschiff, Tiefsee und Wolke, U‑Boot und Flugzeug. Es war nur logisch, daß auf der Unterseite jedes Dreieck, der Eigenständigkeit entsprechend wieder als Schiff gekennzeichnet wurde. Alle Dreiecke hatten also eine rote und eine grüne Hälfte. Nur zwei bekamen ganzflächig ein Blau: Hafenausfahrt.
Die korrekte Lichterführung Backbord, Links in Fahrtrichtung, Rot, wenn unterschwellig verborgen im Hafen; wenn umgeklappt, seewärts, bereit für die Ausfahrt – wohin also – in ein verkehrtes Meer. Und aus was für einem Hafen?
Ich klappte also die Dreiecke über ihre Basis am Rand um. Nur eines blieb als Sockel für das Nikolhaus. So hatte ich eine eigenartige, ausfahrbereite Windrose und setzte über zur Kompaßinsel (070 – 092).
Einen Übertrag hatte ich schon, man erinnere sich, auf der Mondkarte gelassen, das Portait in Ruß; aber auch in der Konstruktion der Windfahrzeuge hat es eine strikte, funktionale Verbindung zum Kompaßkreis. Alle tragen Vogelwellenanzeiger, nach Art von künstlichen Horizonten, welche den natürlichen Horizont ersetzen, falls dieser ausfällt, oder nur die Raumlage bestimmt werden muß.
Die Dreiecke sind aus zwei dünneren Spanplatten zusammengeleimt. In die eine hatte ich ein rundes Loch geschnitten, in welches nachher die Skala und eine Vogelwellenform aus eben der Spanplatte eingesetzt wurden. Die Vogelwelle kann man drehen und über der Skala einstellen.
Die Einstellungen im verdeckten Zustand kann man sich als kreisförmig kalibriert vorstellen. Die Vogelwellen drehen sich von Skala zu Skala, von dem blauen Dreieck, »Hafenausfahrt«, bis zum blauen Dreieck, »Hafeneinfahrt« regelmäßig gleichschrittig einmal um die Uhr. Ausfahrt zu Einfahrt. Umgeklappt aber, nur durch die spiegelnde Wendung, dreht sich die Bewegung von Einfahrt auf Ausfahrt. Damit es aber endlich hinausgehen kann, ist Turbulenz nötig, zufällige Einstellungen. Die Windrose zerfällt.
Für jene Einstellungen braucht es die Kompanden des Kompaßringes. Compas de Mer, Zirkel des Meeres, schrittweise, wiederholt.
So hole ich einen der schwarzen Kompaßkästen aus dem Kreis und setze ihn an der Basis des erstbesten Dreiecks ab. Es folgt ein spannender Moment, denn es braucht Konzentration. Ich werde nur einen Augenblick zum Ablesen haben.
Auch die Kompaßkästen haben ein spezielles Innenleben. Schon von außen fällt eine Rosette von kleinen Bohrungen auf mit einem kurzen Glasröhrchen in der Mitte, aus dem ein Stab zitternd auftaucht. An der Spitze eine kleine Perle. Wenn man den Kasten trägt, schlägt die im Röhrchen hin und her, auf und nieder, tanzt.
Etwas Lebendiges?
Wie strikt halte ich mich an mein Blindheitsgebot, jetzt, wo es zu Meßvorgängen kommt? Gegenüber der Nachtfahrt in der Kunstakademie bin ich im Kreativhaus lockerer, die Attribute verschlossener Augen und blockierten Sehsinnes wechsel ich weniger ängstlich, daß ja-kein Moment von Unbedecktheit entstehe – aber ich halte doch die Lider immer geschlossen. Was also jetzt? Ich meine, ich hätte hingeguckt, doch erinner mich schwach, daß ich getastet hätte. Doch glaube ich, die Rußmaske, die Bedeckung meines Gesichtes, sogar der Augenlider mit dem fettigen Schwarz, hatte auch den Sinn, mich quasimagisch gegen die kommenden Maßnahmen zu schützen. Gucken war erlaubt.
Es ist Wasser in den Kästen. Etwa halbvoll. Auf dem Wasser schwimmt eine Vogelwelle arabesque ausgesägt, und hält den kleinen Stab bzw. wird von ihm gehalten. Zwar kann die Vogelwelle frei im Kasten umher schwimmen, wird jedoch zunächst durch Stab und Röhrchen zentriert festgehalten und darf sich nur drehen.
Zentriert heißt, daß es am Boden eine Skala gibt, genau der Art, wie sie auch die Dreiecke tragen. Natürlich ist der Kasten wasserdicht, die Skala durch eine Glasplatte geschützt trocken. Überhaupt sind die Wände blau aquarelliert und mehrere Schichten Lack bilden ein schönes Interieur für den kontinuierlichen, schönen, aber verborgenen Meßvorgang. Die Vogelwelle dreht sich mit der Unruhe des Wassers über der Skala.
Wenn ich einen der Kästen trage – es gibt solide Tragegriffe, aber ich bei jedem Schritt froh nicht zu stolpern – wenn ich ihn absetze, noch, wenn ich den Deckel, wenn auch sehr vorsichtig abhebe, dreht sich mutmaßlich die Position der Vogelwelle über der Skala. Dann ist der Deckel entfernt, die Vogelwelle frei für nicht zentrierte Positionen, und ehe sie dessen gewahr wird, habe ich meinen Augenblick des Ablesens.
Was ich da sehe, übertrage ich auf die viel stilisiertere Vogelwelle im Dreieck. Die wird entsprechend auf eine neue Einstellung gedreht.
Für jedes Dreieck liegt ein Mast bereit. Jedes Dreieck hat für den Mast eine Bohrung. Ein Mast besteht aus einer Eisenstange, am oberen Ende ist waagerecht eine U‑förmige Halterung angeschweißt. Dort wird, getragen von einem feinen Federdraht, je eines der Radarlote augehängt. Soweit ist es noch nicht. Vorher trage ich dieses Dreieck noch in den Raum, suche ihm einen der Blickblind-Stäbe. Man erinnere sich, Orientierungspfade, mit den Füßen zu tasten (tatsächlich agiere ich die ganze Zeit mit verbundenen Augen) – sie werden nun zu Schiffahrtsrouten: da ich auf jede von ihnen, ein Dreieck ablege. Die Vogelwelle bestimmt die Lage. Immer muß der Querungsanzeiger mit seiner Spannweite parallel über dem Stab liegen und immer zeigt die Mittelspitze, auf welcher Seite des Stabes die Hauptmasse des Dreiecks zu liegen kommt. Entsprechend also kippt der Rosettensplitter, bzw. das seltsame Schiff über den Grat. Jedes Teil mit einiger Wahrscheinlichkeit anders.
Sind alle Dreiecke ausgebracht, sind noch die Radarlote zu befestigen.
Spielen. Entweder völlig willkürlich mit den Dingen umgehen. Blanke Umbenennung macht im Spiel aus einem orangen Einwegfeuerzeug ein Boot, welches beispielhaft gegen einen herphantasierten Sturm ankreuzt. Blanker Hans. Oder andernfalls betont sensibel, geht Spiel auf die Beschaffenheiten eines Gegenstandes ein, und lotet Möglichkeitsräume aus, wie sie sich hinter allen Eigenheiten auftun.
Ich gelangte bei Gelegenheit kostenlos an einen Haufen Schneebesen. Sie waren unüblich klein, hochglänzend verzinkt, und, wie sie vor mir silbrig auf dem Haufen lagen, schon selbst wie aufgeschäumt und ihrer profanen Verwendung entzogen. Hatte ich auch nicht vor. Schon der Materialreiz, der von ihnen ausging faszinierte mich, sie elektrisierten mich, Bedeutungsfelder umspielten ihr Glitzern. Schnee, Schaum, Zink, Metall, Antennen, das von ihren Schlingen umgriffene, angefaßte Nichts — unüblich überdurchsichtige Präsenzen, so kann eine banale Bleistiftlinie auf weißem Papier plötzlich Raum aufziehen und krümmen. Kleine Besen, kleine kühle Kräfte. Bald hatte ich ihnen gefaltete Schiffchen in den Schäumer gesetzt. Ich lehnte eine Reihe an die Wand, Kopf hoch, Geduld, was also werden würde, sollte sich irgendwann zeigen. In den Augen, im Sinn. Endlich nahm ich sie mit in die Nacht.
Es brauchte Wüschelruten, und sie boten sich an, als ich einmal in einen hohlen Stil, einen Schweißdraht steckte. Schlag, ein Moment in welchem plötzlich das spielübliche Als-Ob ausfiel. Hier war eine moderne, futuristische Wünschelrute im Werden zu begreifen. Mythische, gar rituelle Wurzeln dennoch: Der Topf auf dem Feuer unter der Rauchöffnung der Jurte, es wird gerührt, geschäumt, gar gekocht. Sogar, wie praktisch, brachte der Schweißdraht eine Kupferhaut mit, gegen Korrosion und zum Anlocken von Blitzen. Elmsfeuer. Bewerbung angenommen. Sie mußten aber ihre Silbrigkeit opfern.
Ich tauchte zwölf Schaumbesen in schwarze Farbe. Ich lackierte verkupferte Schweißdrähte. Ebenso je eine Kugel. Ich steckte alles ineinander und wickelte Lenkerband unten um den Stab, als Griff, faltete kleine Schiffchen und bemalte sie blau. Genau, von fast Weiß bis intensiv Blau, wobei es ein rotes und ein grünes Schiffchen gibt, die mit dem Blau der Hafenausfahrt korrespondieren. Ich schob die Schiffchen zwischen die Detektorschlingen. Der Schweißdraht war dick genug, ihn weiter oben mit einer ganz feinen Bohrung zu versehen, durch die sich ein dünner, harter, federnder Draht stecken ließ.
Sie stehen senkrecht, fein, elegant, wie wenn eigenständig. Aber es gibt eine Halterung. Ein großer Ring aus Holz mit zwölf Einschnitten in der Innenseite. Die Ruten stecken in diesen Schlitzen, der Ring lastet auf den Kugeln, das reicht, um das Antennenfeld aufrecht zu halten. Die Radarlote können dennoch leicht entnommen werden. Die Federdrähte liegen, vor jedem Lot einer, auf der Innenseite des Rings wie die Striche einer Skala.
So knie ich nieder, bringe den Querdraht an, fasse den Griff und schiebe ein Lot aus dem Schlitz. Gehe zum Mast eines der Schiffe, und hänge das Lot, unten die Kugel, oben die Antenne, in das U und dort mit dem Federdraht in eine kleine Kerbe. Die Ruten pendeln sich in die Senkrechte, das blaue Schiffchen bleibt immer parallel zum Horizont.
Für die Nacht, wie für den außerirdischen Raum fällt der gewohnte Horizont aus. Auch was senkrecht ist, konstruiert sich künstlich. Sogar die Sinne, die Wahrnehmung, sogar alle Gegenstände, Wissenschaften, Evolutionen, die wir ansiedeln würden — künstlich.
(093 – 100) Weil ein Schiff im Hafen blieb, bleibt auch ein Radarlot übrig. Ich lege es auf den Durchmesser. Nehme aber den Kreis, Ringfluß, auf und trage ihn zum Fahrzeug des Blinden. Ich lege ihn um den Spiegelkasten. Die Oberseite zeigt eine Folge, eine Ringbahn sich abwechselnder Farben. Blau, Grün, Rot, Schwarz. Immer auf halber Strecke fährt je ein Schiffchen der Gegenfarbe. Blau auf Schwarz, Rot auf Grün, und je umgekehrt.
Ich ziehe mich aus (101 – 106) und dann die Alltagskleidung wieder an.
Ich steige aus der Performance aus und hinterlasse eine durch Befahren entfaltete Nachtlandschaft.