Betonsockel. Jungarbeiterwohnheim Fronhausen.
Großküche im Souterrain, es gab eine Betonstufe, einen Sockel, grad so hoch, daß wir Kinder gut darauf sitzen konnten, breit genug, um dort auch zu spielen und unsere Schätze drauf auszubreiten, die Quartettkarten, die GorgyToy Autos. Dann gings senkrecht die Rahmenhöhe der Küchenfenster runter, ein Schacht die Fensterfront lang. Die in der Küche mochten uns Kinder gern dort spielen sehen; gradezu vernarrt war die Chefin, Frau Wilma. Sie versorgte uns mit Zuckerbroten. Da wir von oben durch die Fenster sehen konnten, spekulierten wir schon immer und hingen mit den Köpfen über dem Schacht. Tatsächlich ging das Ritual schon los, ein großer Teller wurd hingestellt, flach eine Schicht Zucker, Scheibe Brot mit Butter, und dann klappte sie die eine und die andere Scheibe mit der Butter nach unten auf die Zuckerschicht. Das war’s. Das Fenster ging auf und die Brote wurden hochgereicht. Das süße Knirschen zwischen den Zähnen. Wir alle wußten, daß das verboten war. Unsere Mutter wollte das nicht. Wir durften die Zuckerdinger nicht annehmen. Es hatte Auseinandersetzungen gegeben, Mutter gegen Frau Wilma. Schließlich leiteten die Eltern das Heim.
Aber die Verlockung beiderseits, Frau Wilma und wir konnten nicht anders. Tatsächlich also hatte es einen Zuckerbrotuntergrund, die geheime Triade, Wilma, mein Bruder und ich. Waren Nachbarskinder da oder guckte die Mutter, blieb das Fenster zu.
Die Gorgy Toys waren unsere Schätze. Schweres Metall, bewegliche Teile, und rollten gut. Einige waren vom Dauergebrauch schon einigermaßen abgeschabt. Die Nachbarskinder waren da und irgendwie ergab es sich, daß es zum Tauschen kam. Auch die Nachbarn hatten so Autos. Und dann lag aufeinmal diese gelbe Postkutsche auf dem Beton und wurde Teil des allgemeinen Feilschens. Ein Teil aus dem Kaugummiautomaten, von unten offen, innen hohl, wenn auch sie vier Pferde hatte und den Kutscher mit Peitsche. Mein Bruder gab ein Gorgy Toy und bekam die Kutsche. Ich war tief geschockt. So ein schlechter Tausch. Schwer gegen leicht. Teuer gegen Billigplastik. Mir war sozusagen weiß vor Augen. Ich skandalisierte das und weiß noch, daß Vater unsere »Geschäfte« rückgängig machte. Die Postkutsche verschwand. — Heute überrascht mich diese Erinnerung. Ich hätte vermutet, daß ich die Träumerperspektive gewählt hätte, denn heute ist die Lage genau umgekehrt. Ich, sozusagen unter Geschäftsphobie, rette die Unbefangenheit meiner Entwürfe, das Leuchten der Ideen, welch für mich Lohnendes als eine Art Aura umgibt, während mein Bruder sich fitter durch die Alltagsdeals, Arbeitswelt, Haus, Ebay, Campingreisen bewegt.
Alles gut zwischen uns, wir verstehen uns.